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Politik: Der führende Europapolitiker des Landes, Minister Irtemcelik, tritt zurück

Groß war der Jubel in der Türkei, als das Land beim EU-Gipfel von Helsinki im vergangenen Dezember als Kandidat für den Beitritt zur Europäischen Union anerkannt wurde; in Europa wurde der Beschluss heiß diskutiert. Beides hätte man sich sparen können, denn passiert ist seither nichts.

Groß war der Jubel in der Türkei, als das Land beim EU-Gipfel von Helsinki im vergangenen Dezember als Kandidat für den Beitritt zur Europäischen Union anerkannt wurde; in Europa wurde der Beschluss heiß diskutiert. Beides hätte man sich sparen können, denn passiert ist seither nichts. Statt sich mit frischem Mut in die Arbeiten zur Anpassung des Landes an die EU-Standards zu stürzen, bremsten die türkischen Behörden ihre eifrigsten Europa-Politiker aus und steuerten die EU-Vorbereitungen in eine Sackgasse. Aus Frust über den erzwungenen Stillstand trat der energischste Verfechter pro-europäischer Reformen, Menschenrechtsminister Mehmet Ali Irtemcelik, jetzt von seinem Amt zurück; die Zuständigkeit für die Europapolitik war ihm ohnehin schon entzogen worden.

Fünf Monate nach Helsinki macht die Türkei den Eindruck, als wolle sie sich mit der Anerkennung als Beitrittskandidatin zufrieden geben und den Beitritt selbst gar nicht weiterverfolgen. Der Sinneswandel könnte von einer staatlichen Bestandsaufnahme der für den EU-Beitritt notwendigen Reformen ausgelöst worden sein - denn danach müsste der ganze Staat völlig umgekrempelt werden.

Offiziell begründete Irtemcelik seinen Rücktritt damit, dass ihm der rüde Umgang mit dem Parlament nicht gepasst habe, den Ministerpräsident Bülent Ecevit im Tauziehen um die Präsidentenwahl in den letzten Wochen gepflegt habe. In Ankara ist es aber ein offenes Geheimnis, dass der Bruch bereits kurz nach Helsinki erfolgte, als Irtemcelik aus der Europapolitik ausgebootet wurde - offenbar wegen "Übereifers". Als Staatsminister mit Zuständigkeit für Europapolitik und Menschenrechte hatte Irtemcelik entscheidenden Anteil daran, dass es mit der türkischen EU-Kandidatur in Helsinki endlich klappte.

Türkische Menschenrechtler äußerten sich anerkennend über die Arbeit des Ministers, der unter anderem das erste Treffen zwischen Regierung und Menschenrechtsverbänden organisierte. EU-Vertreter schätzten den überzeugten Europapolitiker als aufrechten Gesprächspartner. Und als das Kabinett in Ankara nach dem Angebot von Helsinki stundenlang zögerte, ob es die von der EU gestellten Bedingungen annehmen oder ganz auf Europa verzichten solle, überredete Irtemcelik den Regierungschef zur Annahme. Irtemceliks Vorschlag zur Gründung eines eigenen Europaministeriums, das die Integration der Türkei in das EU-Gefüge vorantreiben sollte, ging den Europaskeptikern in der Regierung dann aber doch zu weit.

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