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Politik: Der Gehäutete

Marx gehört für ihn in die Tonne und die PDS gleich mit: Günter Schabowskis Wende war radikal. Heute wird er 75

Von Matthias Schlegel

Unter anderen Umständen würde heute das gesamte greise SED-Politbüro in unnachahmlicher Steifheit antreten, um den ebenso greisen wie verdienstvollen Genossen zu ehren und ihm einen Orden an die Brust zu heften. Die Verhältnisse sind nicht so. Seinen 75. Geburtstag wird Günter Schabowski, der im Gespräch gar nicht greis wirkt, in seiner Berliner Plattenbauwohnung im engsten Familienkreis begehen. „Der Personenkult ist Gott sei Dank vorbei“, sagt er und rührt gedankenverloren im Milchkaffee. Das ist eine von den Bemerkungen, die den alten Freunden, die die neuen Feinde sind, und den alten Feinden, von denen manche schon fast neue Freunde sind, so schrill in den Ohren klingen. Seit Schabowski mit den Ex-Politbüro-Kollegen Egon Krenz und Siegfried Lorenz SED-Chef Honecker gestürzt, am 9. November 1989 die Maueröffnung verkündet und die innere Abkehr von einstigen Überzeugungen vollzogen hat, sitzt er zwischen allen Stühlen.

Mit der Radikalität seiner persönlichen Wende erzürnt er die – wie er sagt – „über ihr Schicksal greinenden versteinerten Typen, die in der PDS alten Zeiten nachtrauern“. Und mutet den einstigen Opfern und Oppositionellen aus DDR-Zeiten zu, ihre Versöhnungsbereitschaft zu erproben. Im ungünstigsten Falle sind sich die einen mit den eigentlich verhassten anderen einig, dass dieser Mann den Wendehals schlechthin verkörpert. Schabowski kann darüber nur noch milde lächeln. Die Morddrohungen am Telefon und die Schläge gegen seine Wohnungstür sind vorbei. Der Mann, der am 4. Januar 1929 in Anklam nahe Usedom geboren wurde und in der DDR eine typische Funktionärskarriere vom Absolventen der Moskauer Parteihochschule über den Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ bis zum Mitglied im innersten SED-Führungszirkel vollzog, ist fertig mit seiner Häutung. Dass ein „System, wie es die DDR war, nur noch abzuschaffen ist“, will er Anfang der 90er Jahre erkannt haben. Bis dahin habe er an Reformierbarkeit geglaubt. Und die Legitimation für sein Tun aus dem System bezogen, das ja anerkannt gewesen sei. „Disziplin selbst im Zweifel bewahren“, so die Devise. Marx habe ihn einst „verführt“.

Heute möchte er ihn „in die Tonne kloppen“. Und die PDS gleich dazu. Der billigt er keine Existenzberechtigung mehr zu. „Es gibt genügend andere linke Spielräume“, sagt er. Keine Spur von einer „Es-war-doch-nicht-alles-schlecht“-Mentalität. Nein: Das „große soziale Experiment“ sei als Erfahrung, so bitter sie war, nötig gewesen, damit es sich niemals wiederholen könne. Zur Konsequenz in seiner Umkehr will er bei der nachträglichen Marx-Lektüre, in Gesprächen sowie beim Schreiben seines Buches „Der Absturz“ (1991) gefunden haben: „Nur Dahinsabbern führt zu nichts. Beim Schreiben müssen die Gedanken und Fakten hieb- und stichfest sein.“ Bei der Suche nach Arbeit landete Schabowski als Redakteur bei den „Heimatnachrichten“ in Bad Hersfeld. Dort, in der Provinz, habe er staunend erkannt, welches Geflecht aus praktischer Demokratie die Gesellschaft von unten her zusammenhält, sagt er.

Eine einschneidende Erfahrung wird für Schabowski die Haft in Hakenfelde. Für die Mitverantwortung an den Todesschüssen war er zu drei Jahren verurteilt worden. Die in der gleichen Anstalt einsitzenden DDR-Generäle mieden den Abtrünnigen: „Die haben sich nicht einmal mit mir in die gleiche Schlange beim Essenholen gestellt.“ Als ein paar Wochen später Egon Krenz seine Haft antritt, gibt Schabowski ihm Tipps zum Gefängnisalltag und leiht ihm seinen Rasierspiegel.

Es sind die letzten scheuen Kontakte zu dem einstigen Kampfgefährten. Ihre Wege hatten sich schon im Gerichtssaal getrennt. Während Krenz uneinsichtig blieb, übernahm Schabowski „moralische Verantwortung“ für die Unrechtstaten der DDR und entschuldigte sich bei den Opfern. Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen begnadigte Schabowski nach nur neun Monaten – weil er einer derer sei, die sich „glaubhaft von ihren Taten abgewendet und Fehler eingestanden haben“. Dass nun auch Krenz vorzeitig entlassen wurde, hält Schabowski für normal: „Der Rechtsstaat hat ihn und sein Gequatsche von der Siegerjustiz widerlegt.“

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