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Politik: Der Geist ist aus der Flasche

DIE CDU UND HOHMANN

Von Gerd Appenzeller

Vom Abgeordneten Martin Hohmann wird man noch hören. Die Unionsfraktion hat ihn zwar ausgeschlossen, Mitglied des Bundestages bleibt er aber. Er wird sein Rederecht nutzen. Und anders als früher kann ihn nicht mehr eine weitsichtige Fraktionsführung von der Rednerliste nehmen, wenn Unrat zu fürchten ist. Nein, Martin Hohmann könnte künftig am Rednerpult des Deutschen Bundestages eine Erwartung erfüllen, der er nach Ansicht seiner Bewunderer schon mit der Rede vom 3. Oktober nachgekommen ist: Dinge zu sagen, die sonst angeblich niemand wagt.

Vor diesem wirklich nur politisch-taktischen Hintergrund war ein Martin Hohmann in der Unionsfraktion das kleinere Übel als der auf sich selbst gestellte Abgeordnete, der nun rechts außen Platz nehmen wird. Denn tatsächlich blieb Angela Merkel überhaupt nichts anderes, als den Trennungsstrich zu ziehen. Dass sie dazu einige Tage brauchte, hing vielleicht mit der Hoffnung zusammen, die Sache relativ geräuschlos vom Tisch zu bekommen. Das war vorbei, als Martin Hohmann triumphierend das Glückwunschschreiben des Generals Günzel in die Kameras hielt. Spätestens da begriffen auch jene, die der Parteichefin zum Abwarten geraten hatten, dass es nicht nur um einen verwirrten Abgeordneten und um einen gleichermaßen verstandesmäßig desorientierten General ging. Der bodenständige, national-konservative Katholizismus im Bunde mit dem deutschen Offizierskorps – das war die Schreckensvision. Hier meldete sich offenbar, was die Nazis wohl das gesunde deutsche Volksempfinden genannt hätten.

Martin Hohmann hat einen Geist aus der Flasche gelassen, von dessen Existenz die CDU und die gesamte politische Klasse wussten – und den sie unter Kontrolle glaubten. Ob es der Fraktionsspitze der Union mit dem Ausschlussverfahren gelingt, diesen Geist wieder in die Flasche zurückzuzwingen? Was sich da in E-Mails und Telefonaten artikulierte, war ein „Jetzt geht’s los“-Schrei. Endlich darf darüber geredet werden, hieß es, endlich gibt es ein Aufbegehren gegen die herrschende Meinungsdiktatur, die die Deutschen auf ewig als Täternation abstempeln will.

Natürlich darf sich der deutsche Katholizismus genauso wie das Offizierskorps der Bundeswehr gegen den Pauschalverdacht des Antisemitismus wehren. Das wäre ja eine so absurde Gleichsetzung wie Hohmanns schäbiger Versuch, den Spuren des internationalen Judentums in der bolschewistischen Diktatur nachzugehen – oder etwa die Idee, dem deutschen Protestantismus eine besondere Affinität zum Terrorismus nachzusagen, weil im Umfeld der RAF evangelische Pfarrersfamilien eine Rolle gespielt haben. Aber die Geistesverwandtschaften zwischen Hohmanns Lebensentwurf und dem Deutschlandbild seiner Nachläufer sind nicht zu leugnen. Sie hängen mit den prägenden Milieus zusammen. Die Hohmanns dieses Landes entsprechen in ihrer gesellschaftlichen Relevanz mindestens der Zahl CDU-Abgeordneter, die gestern einen Ausschluss des Abgeordneten ablehnten oder sich enthielten. Es ist insoweit ein ehrliches Ergebnis. Ein deutlich höheres Maß an Zustimmung für Angela Merkels Votum wäre wiederum Heuchelei gewesen und vermutlich Auslöser einer neuen Geschichtsklitterung – der von der angeblich unterdrückten Meinungsfreiheit in der CDU.

Das Problem der Unionsführung ist die Revolution von oben, die sie nun an die Basis tragen muss. In der Spendenaffäre überraschte die Empörung der einfachen Mitglieder die damalige Parteiführung, die meinte, das Unheil abwettern zu können. Diesmal hat die Spitze den Erkenntnisvorsprung und muss, herab von den Gipfeln, die Ebene überzeugen, dass Hohmanns Denken eben in einer humanen Gesellschaft nicht tolerabel ist. Gedankenpolizei darf dabei freilich niemand spielen, übrigens auch nicht die SPD. Man muss, zum Beispiel, über unzumutbare Zustände in manchen Vierteln deutscher Großstädte reden dürfen, ohne deshalb als fremdenfeindlich abgestempelt zu werden. Und auch dies gilt: Jede Gesellschaft lebt unterhalb der offiziellen Ebene mit double speech und doppelter Moral. Dazu gehören chauvinistische Witze so wie Vorurteile, die Promiskuität so wie die Sucht. Ein Miteinander ohne Konflikte gibt es nur – auf dem Friedhof.

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