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Politik: Der Geist ist aus der Flasche

In Kirgisien erstarken Islamisten – Interimspräsident Bakijew hat bei den heutigen Wahlen gute Chancen

Die Adresse des Treffpunkts in Osch ändert sich immer wieder, per Handy werden wir durch die Hauptstadt Südkirgisiens dirigiert. Vorsicht ist für Mitglieder und Sympathisanten von Hizb-ut-tahrir unerlässlich. Die radikal-islamische Partei strebt das Kalifat an, einen supranationalen Gottesstaat, der nach den Gesetzen der Scharia – des koranischen Rechts – lebt. Anders als al Qaida lehnt die Hizb aber Gewalt ab. 1948 in Palästina gegründet, ist die Partei seit Ende der Sowjetunion in Zentralasien aktiv und inzwischen in allen fünf Republiken verboten. Auch in Kirgisien, wo Unruhen im März Staatschef Askar Akajew zum Rücktritt zwangen und am heutigen Sonntag vorgezogene Neuwahlen des Präsidenten stattfinden.

In einem kleinen Restaurant endet die Irrfahrt. Dort wartet ein schmächtiger junger Mann, der sich „Farruk“ nennt. Mit dem Rücken zum Springbrunnen, vor sich eine Kanne grünen Tees, beschreibt er vage den künftigen Gottesstaat. Die Demokratie lehnt er ab, denn: „Der Westen will uns Muslimen seine Werteordnung aufdrängen und zwingt uns, unser Öl und Gas zu Dumpingpreisen zu verkaufen.“

Bei der Revolution im März, die hier im 600000 Einwohner zählenden Osch begann, hat Farruk dennoch mitgemischt. „Die neue Macht“, sagt er, „steht unter strenger internationaler Beobachtung, die Wahlen werden fair und ehrlich sein. Das nützt uns langfristig.“ Dieses Mal, meint Farruk, habe die Hizb noch keine Chance, ihren Kandidaten Tursunbai Bakir-uulu durchzusetzen, der das Kalifat, Wohlstand für alle und Herabsetzung des Rentenalters von gegenwärtig 63 auf 60 Jahre verspricht. Wie, bleibt offen, aber das interessiert ohnehin niemanden. „Bakir-uulu“, sagt Farruk, „war früher Demokrat, daher kann er höchstens der Wegbereiter eines Kalifen werden“. Allahs Wege seien eben nicht immer die direktesten.

Ikbal Mirsaitow vom Zentrum für strategische Studien zählt allein in Osch und dessen Umland bis zu 300000 Mitglieder der Hizb. Täglich werden es mehr. Hochburg der Fundamentalisten ist Kara-su, 20 Kilometer südwestlich von Osch. Mitten durch die Stadt mit knapp 60000 Einwohnern wälzt sich der Scharchon-sai, die Grenze zu Usbekistan. Bis zu 7000 Gläubige verbeugen sich beim Freitagsgebet Richtung Mekka im Innenhof der Moschee, die sich über dem Scharchon-sai erhebt. Viele seiner Schäflein seien Hizb-Anhänger, sagt Yuldaschbay Orumbayew, der stellvertretende Imam. „Leider kann ich sie nicht aus der Moschee werfen.“ Orumbayew will am Sonntag für Interimspräsident Kurnanbek Bakijew stimmen. Der soll die Wirtschaft ankurbeln und für Frieden sorgen, damit Investoren in den Süden kommen. Einen Krieg mit Usbekistan, sagt der 65-Jährige, „können wir nicht gebrauchen“. Genau das aber fürchtet die Masse: Nach dem Blutbad Mitte Mai im usbekischen Andischan haben Hunderte bei Verwandten im knapp 50 km entfernten Kara-su Zuflucht gefunden. Usbekistan verlangt von Kirgisien deren Auslieferung – und droht mit der stärksten Armee Zentralasiens.

„Die so genannte Revolution“, sagt Expräsident Askar Akajew, der nach seiner Flucht als Gast der russischen Staatsführung eine komfortable Datscha bei Moskau bewohnt, „hat den Geist aus der Flasche gelassen“. Der aber könnte schon bald auf eigene Faust Wasser holen gehen. Der Kompromiss, auf den sich Interimspräsident Bakijew, ein Mann des Südens und wahrscheinlicher Wahlsieger, mit Felix Kulow geeinigt hat, dem Mann des Nordens und künftigem Premier, könnte schon bald an den Rivalitäten der Kontrahenten zerbrechen. Dann droht Bürgerkrieg und die Zweiteilung Kirgisiens, wo erst unter den Sowjets zusammenwuchs, was eigentlich nicht zusammengehört. Kirgisien ist bis heute keine Nation, eher eine Konföderation nördlicher und südlicher Stammesverbände, die außer der Sprache kaum Gemeinsamkeiten haben. Die Sowjets deckelten den Nord-Süd-Konflikt, indem sie Schlüsselfunktionen paritätisch besetzten.

Die Märkte in Osch, wo es unter einer Dunstglocke aus allen Wohlgerüchen des Orients laut und quirlig zugeht, ähneln dem nordafghanischen Masar-i-scharif, wo Usbeken-General Dostum Anfang der Neunziger ein gemäßigt-islamisches Teilreich errichtete. Immer mehr Frauen zeigen sich züchtig verhüllt, Händler, die früher Wodka auf und islamische Literatur unter dem Ladentisch hatten, sortieren ihr Angebot jetzt in umgekehrter Reihenfolge ein und kleben nachts Wahlplakate der Hizb mit Möchtegern-Kalif Bakir-uulu. In zwei Meter Höhe und auf extra dünnem Papier, das sich schlecht abreißen lässt. Logistik, die aus Iran stammt, wo namhafte Imame Kirgisiens gegenwärtig im Schnellkurs zu islamischen Revolutionären hochgerüstet werden.

Moskau verfolgt die Entwicklungen besorgt und plant neben Kant, wo bereits 5000 Soldaten stehen, in Südkirgisien eine zweite Truppenbasis. Sie soll notfalls, wie Anatolij Zyganok, Leiter des Anti-Terror-Zentrums des GUS-Verteidigungsbündnisses für kollektive Sicherheit sagt, die usbekische Armee unterstützen und in Kirgisien Bürgerkrieg und die Machtübernahme der Islamisten verhindern. Beides will Zyganok nicht ausschließen. „Abwarten und Tee trinken“. Es klingt nicht besonders hoffnungsvoll.

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