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Politik: Der gute föderale Zwang

Von Susanne Vieth-Entus

Als der Regierende Bürgermeister von Berlin vor der Wahl versprach, es werde mit ihm keine „Einheitsschule“ geben, war das ungefähr genauso überraschend, als wenn er gesagt hätte, mit ihm werde es keinen Abriss der Gedächtniskirche geben. Denn vor dem Abriss der Gedächtniskirche steht der Denkmalschutz, und vor der Einheitsschule steht die Kultusministerkonferenz. Und vor beidem steht – Volkes Stimme.

Dennoch war das Versprechen gut platziert. Es zerstreute die Bedenken all jener, die eben nicht wussten, dass ein einzelnes Bundesland wie Berlin gar nicht in der Lage ist, seine Schullandschaft so radikal zu ändern. Es sei denn, es wollte in Kauf nehmen, dass zwischen München und Flensburg die Berliner Schulabschlüsse nicht mehr anerkannt werden. Aber wer will das schon?

Worüber aber wird sich denn nun überhaupt aufgeregt, wenn die Gemeinschafts-/Einheitsschule sowieso nicht flächendeckend kommen kann? Wenn doch alles nur ein kleiner hübscher Modellversuch werden soll, der Berlin ein bisschen gerechter macht, indem er ein paar tausend Unterschichtkindern die Gelegenheit gibt, mit Mittelschichtkindern gemeinsam die Schulbank zu drücken. Wer sollte was dagegenhaben?

Die Frage ist nur, ob diese Mischung zustande kommt. Das will man schon wissen, angesichts einer von Rot-Rot vereinbarten Investition von 22 Millionen Euro in Personal und Ganztagsräume. Die Aussichten sind dafür nicht eben rosig. Noch ist nicht ein einziges gut funktionierendes bürgerliches Gymnasium in Sicht, dass freiwillig bereit wäre, eine ungefilterte Schülerschaft aufzunehmen. Denn eines ist klar: In dem Moment, da zwei, drei oder gar zehn so genannte „bildungsferne“ Schüler – sprich: Unterschichtkinder – in einer Klasse auftauchen würden, wären die Bürgerkinder alsbald weg. Abmarschiert zu einem Gymnasium, das lieber keine Modell-Gemeinschaftsschule sein will.

Selbst urlinke Gutmenschendirektoren aus altem Gewerkschaftsadel bekennen freimütig, dass sie ihr schönes Gymnasium für einen derartigen Versuch nicht hergeben wollen. Dass sie schon „zittern“, wenn die Kinder mal nicht gefrühstückt haben. Gar nicht zu denken sei da an Kinder, die spucken, schlagen und beleidigen. Ja, diese Schulleiter haben bei ihrer Verweigerung ein schlechtes Polit-Gewissen. Aber sie wissen, dass Eltern und Schüler es ihnen danken, wenn sie ihr kleines Refugium mitten im verprollten, harten Berlin bewahren.

Die Linkspartei wird sich damit abfinden müssen, dass es nur bedingt zu der von ihnen so gewünschten Vermischung in den Schulen kommen wird, solange das Ganze freiwillig ist. Und auch damit, dass es freiwillig bleibt, weil es in einer Kultusministerkonferenz, in der jede Menge CDU-Minister mit am Tisch sitzen, kein Okay für eine Gemeinschaftsschule geben wird. Aber die Sozialisten sollten erkennen, dass dieser föderale Zwang auch seine guten Seiten hat. Denn wenn Berlin selbst entscheiden und tatsächlich die Gymnasien abschaffen könnte, wäre eines klar: Die Mittelschicht würde noch stärker in kostenpflichtige Privatschulen abtauchen.

Kann die Linke das wollen? Dass dann nicht mehr nur Intelligenz, Herkunft und häusliche Förderung über den Sprung in eine leistungsstarke Schule entscheiden, sondern auch noch der Geldbeutel? Dass wir also französische Verhältnisse bekommen, wo ein Großteil der Leistungsträger längst aus dem staatlichen Bildungswesen verschwunden ist?

Wer wirklich will, dass bildungsferne Kinder den Sprung nach oben schaffen, sollte weder Zeit noch Geld, noch Mühe in realitätsferne Modelle stecken. Er sollte lieber dafür sorgen, dass so genannte „Importbräute“ vor der Einreise Deutsch lernen, dass Migranten in den Kindergärten Deutsch lernen, dass Erzieher und Lehrer besser ausgebildet werden und dass Schulen Lehrer haben, um schwache Schüler am Nachmittag zusätzlich zu fördern. Wer akzeptiert, dass Schüler scheitern, weil ihre Eltern kein Geld für Nachhilfe haben, schadet der Chancengleichheit mehr als jener, der die Gemeinschaftsschule ablehnt.

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