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Politik: Der Igel muss rennen

Von Robert Birnbaum

Wenn man die FDP nach ihrer Lieblingsgestalt in der Dichtung fragen könnte, dann käme dabei der Igel heraus. Kleines Stacheltier, das die Großen mit respektvoller Distanz behandeln, weil es piekst, und das den großmäuligen Hasen im Wettlauf austrickst – das dürfte Guido Westerwelle und seiner Truppe gefallen. Und wer den Freidemokraten in den letzten Monaten zugehört hat, der hat sie ja tatsächlich ständig rufen hören: „Ich bin schon da!“ Steuerreform, Gesundheitsreform, Bürokratiereform, lange formuliert, fix und fertig, anderen weit voraus. Dass die FDPSpitze jetzt ein Wahlprogramm beschlossen hat – reine Formsache. Der Igel FDP sah sich längst im Ziel. Die Sache hat nur einen Haken: Das Rennen ist heimlich verlängert worden. Und das Ziel ist jetzt ganz woanders.

Die Ursache für die neue Lage heißt Oskar Lafontaine. Für die FDP reimt sich der Name des Ex-SPD-Chefs neuerdings misstönend auf „Große Koalition“. Wenn die Linkspartei zu viel Stimmenprozente bekommt, reicht es vielleicht doch nicht für ein schwarz-gelbes Bündnis. Die Union könnte trotzdem regieren – die FDP bliebe draußen. Daraus ergibt sich für die Freidemokraten eine neue Gegner-Konstellation, und damit sind wir bei dem jetzt verabschiedeten Programm.

Die Absichtserklärungen, mit denen die FDP in den Wahlkampf ziehen will, sind noch der Reflex der alten Konstellation. In der musste es der FDP vor allem darauf ankommen, sich von der Union abzusetzen. Alle Welt ging ja sowieso von der bürgerlichen Mehrheit aus. Die FDP positionierte sich so, dass sie die Rolle des kleinen Regierungspartners mit Stacheln vorwegnahm: In der Steuer- und Wirtschaftspolitik immer ein Stück radikaler als die Union, im keineswegs zufällig neu entdeckten Feld „Bürgerrechte“ als bremsende Stimme der Vernunft. Dieses Programm reichte für konstante sechs bis sieben Umfrageprozente. Aber wenn die Linkspartei stark bleibt, sind sechs bis sieben Prozent vielleicht gerade eben zu wenig für den Sieg.

Nun wäre diese Rechnung für sich allein kein Problem, sondern eher das Gegenteil. Das freidemokratische Mantra, dass es ohne FDP keine richtige Reformpolitik geben werde, ist von der leicht großmäuligen Behauptung zur Tatsache geworden. Nur mit uns, kann Parteichef Westerwelle nun mit vollem Recht sagen, wird Angela Merkel zur Reformkanzlerin – ohne uns wird sie eine Art Wolfgang Clement im Zwangsbund mit den bremsenden Sozialdemokraten.

In dieser neuen Ausgangslage liegt gewiss eine Chance. Aber zugleich ein Risiko. Die FDP wird auf die Rolle der einzigen Garantin einer radikalen Wende festgelegt. Das verengt das „gefühlte“ inhaltliche Spektrum, das ihre Wähler mit ihr verbinden. In Sachsen etwa konnte die Landespartei mit der Losung „Herz statt Hartz“ in den Landtagswahlkampf ziehen, ohne verlacht zu werden. Wie die Freidemokraten im Osten ja ohnehin ihre Erfolge dem Eindruck verdanken, sie seien die nicht-sozialistische Protestpartei. Aber die Gefahr ist hoch, dass Protestwähler, die die PDS nicht mögen, zur lafontainisch schillernden Linkspartei dann doch gehen. Dass die FDP das Problem erkannt hat, zeigt das Plakatmotiv mit Warnung vor rot-rot-grünen Socken. Dass sie kein Mittel gegen die Gefahr weiß, zeigt das hilflose Remake ebenso.

Für Guido Westerwelle ergibt sich aus alledem eine sehr einfache, sehr schwere Aufgabe: Er muss mehr Menschen, als er gedacht hatte, von der FDP und ihrem Programm wirklich überzeugen. Also nicht nur die, die eine wirtschaftliche Radikalkur für das Beste halten. Aus dem sicheren Sieg im Beiwagen der Union mit Mäkelei am Fahrstil wird nichts. Der Igel muss selber ins neue Ziel rennen. Auch darin steckt wieder eine Chance und ein Risiko. Der neue Ernst der Lage könnte Westerwelle beim Bemühen um neue Ernsthaftigkeit helfen. Auf ihn, die FDP kommt es wirklich an. Das Risiko ist das des Igels, der seinen alten „Ich bin schon da“-Trick nicht nutzen kann: Was, wenn sich für den echten Wettlauf die Beinchen als zu kurz erweisen?

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