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Boaz Ganor ist Gründer und geschäftsführender Direktor des Internationalen Instituts für Terror-Abwehr im israelischen Herzliya.

© privat

Der israelische Experte Boaz Ganor über Anti-Terror-Kampf: "Europa braucht eine Anti-Terror-Zentrale"

„Kampf gegen Terror ist eine Kunst“ - der israelische Experte Boaz Ganor über die Anschläge von Brüssel, Europas Probleme und was getan werden muss.

Herr Ganor, nach den Anschlägen von Paris und Brüssel: Ist Europa ausreichend für den Anti-Terror-Kampf gerüstet?

Auf der einen Seite darf das Leistungsvermögen einiger europäischer Geheimdienste nicht unterschätzt werden. Andererseits gibt es Sicherheitsbehörden, die nicht besonders gut aufgestellt sind. Aber bei der Jagd auf Terroristen gibt es eben ein großes Problem: Das System ist immer nur so stark wie sein schwächstes Glied. Brüssel hat deutlich gemacht, dass Europa im Allgemeinen ein Problem hat – und Belgien im Besonderen.

Inwiefern?

Europas Anti-Terror-Kampf wird zum Beispiel durch das Schengen-Abkommen, die Reisefreiheit und die mehr oder weniger offenen Grenzen erschwert. Das betrifft dann vor allem Belgien als Islamisten-Hochburg. Deshalb ist die Sicherheitslage dort für ganz Europa eine Herausforderung.

Was folgt daraus? Dass sich die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste verbessern muss?

Darum geht es nicht vordringlich. Die Kooperation ist in den vergangenen Jahren deutlich enger geworden. Ich plädiere für einen viel weiter gehenden Ansatz: Europa braucht eine gemeinsame Anti-Terror-Zentrale. Mit eigener Ausstattung, also auch einem eigenen Geheimdienst. Diese Institution hätte dann die Aufgabe, die Bedrohungen durch den Terror europaweit zu analysieren und darauf zu reagieren. Dabei ist entscheidend, nicht nur den Kampf zu koordinieren, sondern de facto auch die Kommandogewalt innezuhaben.

Aber ist das Zustandekommen einer derartigen Behörde nicht eine Illusion? Bisher sind die einzelnen Staaten kaum bereit, Kompetenzen abzugeben.

Das mag noch so sein. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist allerdings so immens, dass man um eine solche Einrichtung letztendlich nicht herumkommen wird.

Was kann Europa von Israel lernen?

Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine Kunst. Und die Kämpfer sind auf ihre Art Künstler. Denn sie müssen nicht zuletzt unkonventionell, ja quer denken können. Eine große Herausforderung ist zum Beispiel, das Handeln, die Taten und die dahinterstehende Logik der Terroristen zu begreifen. Sie sind bereit zu töten und selbst getötet zu werden. Die Extremisten stellen nüchterne Kosten-Nutzen-Überlegungen an. Gute und damit erfolgreiche Anti-Terror-Kämpfer müssen deshalb in die Köpfe der Fanatiker eindringen. Und noch etwas gehört zur Kunst der Gefahrenabwehr.

Das wäre?

Wir müssen das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit immer wieder neu ausbalancieren. Das ist vor allem für Demokratien eine schwierige, aber wichtige Aufgabe. Das kann unter bestimmten Bedingungen zur Folge haben, dass wir bedauerlicherweise einige wenige liberale Werte aufgeben müssen, um effektiv gegen den Terror vorgehen zu können. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Demokratie bewahrt wird und die Bürger geschützt werden.

Ein Beispiel, bitte.

Nehmen wir die Anschläge in Brüssel. Dass es zu den Angriffen kommen konnte, liegt weniger an den unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen oder in der U-Bahn, sondern vielmehr am Versagen des belgischen Geheimdienstes. Zwischen der Festnahme des mutmaßlichen Islamisten Salah Abdeslam im Stadtteil Molenbeek und den jüngsten Attentaten vergingen einige Tage. Diese Zeit hätte unter allen Umständen genutzt werden müssen, um an Informationen über die Anschlagspläne zu gelangen. Doch das ist offenkundig nicht passiert – mit verheerenden Folgen.

Wie müsste denn ein gleichermaßen effektiver wie effizienter Kampf gegen den Terror aussehen?

Zuallererst wäre es erforderlich, sich endlich auf eine gemeinsame Definition des Begriffs Terrorismus zu einigen. Davon sind wir leider weit entfernt. Dabei ist es im Grunde ganz einfach: Es geht um Gewalt, die von nicht staatlichen Akteuren ausgeübt wird und sich gezielt gegen Zivilisten richtet, um politische Ziele zu erreichen. Nach Israels Überzeugung sind demzufolge Organisationen wie die Hamas oder die Hisbollah-Terrorgruppen. Aber das sehen nicht alle so. Wir können jedoch erst gemeinsam gegen einen Feind vorgehen, wenn alle darin übereinstimmen, dass es sich eben um einen Feind handelt.

Boaz Ganor ist Gründer und geschäftsführender Direktor des Internationalen Instituts für Terror-Abwehr im israelischen Herzliya. Mit ihm sprach Christian Böhme.

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