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Politik: Der Kandidat der Widersprüche

Der Zwei-Meter-Mann kann nicht gut reden und zieht sich schrecklich an. Trotzdem könnte er im Kampf um die US-Präsidentschafts-Kandidatur Erfolg haben.

Der Zwei-Meter-Mann kann nicht gut reden und zieht sich schrecklich an. Trotzdem könnte er im Kampf um die US-Präsidentschafts-Kandidatur Erfolg haben. Denn da zählt vor allem eine unverwechselbare Persönlichkeit - auch wenn sie Macken hat.Robert von Rimscha

Kürzlich in Nashua im winterlichen New Hampshire schlenderte Bill Bradley über die Main Street, als ein paar Teenager aufgeregt herbeigerannt kamen und um ein Foto mit "dem nächsten Präsidenten der USA" baten. Der Zwei-Meter-Mann Bradley breitete seine Albatross-Arme aus, legte sie allen vier Mädchen auf einmal um die Schultern und lächelte breit in die Kamera. Mantel und Jackett waren offen, und so konnte man sehen, dass mit Bradleys dunkelblau-roter Krawatte irgendetwas nicht stimmte. Da lugte ein Stück transparentes Plastik hervor - und war das nicht ein Riss?

Bradley hatte seine Krawatte mit Tesafilm repariert. So ist er. Ein Unikum, das seinen Ruf als Sonderling in die wichtigste Währung ummünzt, die dieser amerikanische Präsidentschaftswahlkampf kennt: Authentizität.

Neulich saß er rechts neben Al Gore. Der Vizepräsident, sein einziger Rivale um die Nominierung durch die Demokraten als Nachfolger Bill Clintons, streckte ihm seine Hand entgegen und ermunterte Bradley, einzuschlagen: wöchentliche Debatten zwischen beiden, im Gegenzug ein Verzicht auf alle Radio- und Fernsehwerbung. "Das ist doch ein billiger Trick!", ereiferte sich Bradley.

Gores Hand blieb ungeschüttelt. Bradley schlug das Angebot aus. Was er nicht tat: Die Kalkulation seines Kontrahenten offenzulegen. Gore kann es sich leisten, auf Fernsehspots und Radiowerbung zu verzichten. Man kennt ihn. Zu Bradley fällt 30 Prozent der Amerikaner bislang gar nichts ein. Der Ex-Senator braucht deshalb das Fernsehen. Mit seinem Zuschauervolk geteilt hat Bradley diese Einsicht indes nicht. "Erst hast Du mich zehn Monate lang ignoriert, und jetzt kommt so eine schwachsinnige Idee!", schnauzte er Al Gore an und schüttelte den Kopf.

Die Zeit des "Gandhi-Wahlkampfes" ist vorbei. Mit Pazifismus hat das Duell der Demokraten nicht mehr viel zu tun. Die verfeindeten Brüder kämpfen mit harten Bandagen. Noch vor ein paar Monaten hatte Bradley versprochen, den saubersten Wahlkampf aller Zeiten zu führen und auf persönliche Attacken zu verzichten. Weil er sich gegen Al Gores harsche Attacken nicht verteidigte, wurde ihm dies als Schwäche ausgelegt. Jetzt feuert Bill Bradley zurück. Er weiß, um was es geht.

Aus dem Außenseiter ist innerhalb eines halben Jahres, in dem Gore Peinlichkeit auf Peinlichkeit folgen ließ, ein ernsthafter Rivale geworden. Und ein Medien-Liebling. Wer sieht nicht gerne Favoritenstürze? Gemeinsam mit dem republikanischen Kriegshelden John McCain führt Bill Bradley, der vergeistigte Sportstar, einen romantischen Putsch gegen die früh inthronisierten Polit-Dynasten Gore und Bush. Wie McCain hat auch Bradley zu allererst sich selbst und seine Biografie zu bieten: Seht her, ich bin mehr als nur ein Vertreter Washingtons. Ich maße mir nicht an, die Präsidentschaft erben oder ersitzen zu können.

Sehnsucht nach der Kleinstadt

Bradley stammt aus einer Mittelstands-Familie im Bundesstaat Missouri. Der Vater war Banker, schwer krank und Republikaner, die Mutter war Lehrerin und sehr musikalisch. Crystal City heißt der Ort südlich von St. Louis, wo Bradley am 28. Juli 1943 geboren wurde und am Ufer des Mississippi aufwuchs. "Ich sehne mich manchmal nach der Gewissheit und Vertrautheit, die Kleinstädte ausstrahlen", sagt er über seine alte Heimat. Er verdiente sein Geld zehn Jahre lang als Basketballer im Dienste der "New York Knicks", sammelte Meisterschaften und eine olympische Gold-Medaille. In zwei Büchern hat er später ausgebreitet, was er damals gelernt hat. Das Leben aus dem Koffer lehrte ihn vor allem, wie Amerika in den späten 60er Jahren mit seinen schwarzen Bürgern umging. Bradley wurde zum überzeugten Gegner der Rassentrennung.

Aus den Basketball-Jahren ist viel übrig geblieben. Der Ruhm als Sportstar, der heute dazu führt, dass 50-Jährige mit ihren Söhnen zu Bradley-Auftritten kommen und um Autogramme bitten. Dann ist da das Netzwerk. "Back in the Garden" hieß die Veranstaltung, zu der Bradley vor ein paar Wochen in den New Yorker Madison Square Garden, die Heimat der "Knicks", einlud. Sport- und Kulturstars, von Magic Johnson bis Spike Lee, kamen im Dutzend. Eine Million Dollar Einnahmen verbuchten Bradleys Spendeneintreiber.

Während seiner Sportkarriere und in der Zeit danach erarbeitete sich Bradley eine exzellente Bildung in Princeton und Oxford. Er missachtet Menschen, die es sich leicht machen. Radikale Atheisten beispielsweise. Er selbst ringt seit Jahrzehnten mit dem Thema Religion. Im Wahlkampf hat er sich entschlossen, keine Kommentare über seine theologischen Ansichten zu geben. Dafür hat er unumwunden eingeräumt, wozu sich auch Al Gore bekannt hat: In den 60er Jahren Marihuana geraucht zu haben.

"Er leitet alles von inneren Überzeugungen ab, das verwirrt viele", sagt ein Freund über Bradley. Schon Anfang 1979, als er 35-jährig in den Senat kam, holte er sich Berater ohne jede Washington-Erfahrung. "Er liebt das Jungfräuliche", sagt die Mitarbeiterin, die damals seine Initiativen in Gesetzesform goss. Er liebt auch das Zuhören. Berühmt wurden seine Strand-Spaziergänge in der Wahlheimat New Jersey, wo er Bürger in intensive Dialoge verwickelte, um zu erfahren, was Amerika auf dem Herzen hatte.

In seinen langen Jahren im Senat bezog Bradley lieber 2-zu-18-Niederlagen bei Ausschuss-Abstimmungen, als dass er seine Prinzipien kompromittiert hätte. Und es waren viele Niederlagen. Jahrelang war er im Senat ein Kollege von Al Gore, mit dem er, so sieht er dies im Rückblick, kein einziges ernsthaftes Gespräch geführt hat. Gore fürchtet Bradley - Bradley verachtet den seelenlosen Streber Gore. Gegen Ende seiner ersten Washington-Karriere kam das Nein gegen den Golfkrieg - eine Entscheidung, die Gore ihm als Vaterlandsverrat vorhält, die Bradley selbst indes mit seiner damaligen Furcht begründet, die USA könnten in ein zweites Vietnam hineinschlittern.

Ein böser Blick für dumme Fragen

Der oft erratische und unberechenbare Politiker entschied sich 1995, nicht erneut für den Senat zu kandidieren. "Er ist ausgebüchst, als die Republikaner die Mehrheit übernommen haben, und ist dem Konflikt ausgewichen", wirft ihm Gore heute vor. Ein Grund für den vorübergehenden Abschied war höchst persönlich. Ernestine, seine 1935 in Passau geborene Frau, die seit den 60er Jahren US-Bürgerin ist und als Germanistik-Professorin arbeitet, war 1992 an Brustkrebs erkrankt. Bradley hütete monatelang das Krankenbett und hatte von der Washingtoner Mühle erst einmal genug.

Vier Hauptthemen hat Bradley für seinen Wahlkampf. Er streitet für die Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes, gegen Armut, für schärfere Waffenkontrollen und für eine Überbrückung des Grabens zwischen Schwarz und Weiß. Irgendwie gelingt es ihm, dies als Feldzug der "großen Ideen" gegen den Verwaltungs-Pragmatismus von Gore zu verkaufen. Dass Bradley dabei viel Wohlwollen erfährt, ist kein Zufall. Er ist, wie McCain, zum Medienstar geworden, der eine gute Presse bekommt, weil er als "underdog" (als Benachteiligter) antrat.

Bradley und McCain haben einen wahren Personenkult ausgelöst. "Madly for Bradley" heisst der dazugehörige Slogan. Doch während McCain in seinem Vorrücken gegen George W. Bush auf Kollegialität, Zugänglichkeit und Freundlichkeit setzt, deutet Bradley das Kernprinzip dieses Wahlkampfes, das Gesetz des Authentizität, anders. Er bekennt sich zu Arroganz und Abgehobenheit. Dumme Fragen bestraft er mit einem bösen Blick. Wenn er genervt ist, spielt er das nicht herunter, sondern aus.

Über sein mangelndes Charisma als Redner sagt er selbst: "Rhetorisch habe ich ungefähr die Fähigkeiten der Wachsfiguren bei Madame Tussaud." Den spröden Professor, der seine Weisheit eher durch heiseres Murmeln denn durch Paukenschläge verkündet, gibt Bradley gern. Aber ganz kann er jene Facetten seiner Persönlichkeit nicht unterdrücken, denen das Eigenwillige und Launische eine düstere Richtung gibt. Bradley ist ein Außenseiter, ein Sonderling, ein Exzentriker. Als politische Vorbilder nennt er drei blitzgescheite Gescheiterte: Für Weitsicht sei Präsident Woodrow Wilson ein Beispiel, für Ehrlichkeit und Integrität Jimmy Carter und für Mut Michail Gorbatschow.

Ein Schuhkauf für die Kameras

Bradley hat für den Wahlkampf zwar eine eigene Homepage eingerichtet ("

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