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Politik: „Der Kommunismus hat keine Spur hinterlassen“

Polens Senatspräsident Borusewicz und die Politologin Schwan zum nicht mehr geteilten Europa

Berlin - Man hat sie schon die fernen Nachbarn genannt, die Deutschen und die Polen, die sich geografisch so nah und vom gegenseitigen Verständnis her manchmal so weit voneinander weg sind. Aber ist das vielleicht, so wie es vor fast einem halben Jahrhundert noch zwischen Deutschen und Franzosen war, nur ein Generationenproblem, das für die Kinder nicht mehr existiert? Am Donnerstagabend konnte man in den überfüllten Räumen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin diesen Eindruck gewinnen. Fast 300 überwiegend junge Polen und Deutsche drängten sich, die Politologin Gesine Schwan und den polnischen Politiker Bogdan Borusewicz miteinander über die Lage beider Länder diskutieren zu hören.

Offiziell ging es zwischen der Beauftragten der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit und dem Präsidenten der Zweiten Kammer des polnischen Parlamentes um die Rolle der Bürgerbewegungen bei der Überwindung der Teilung Europas. Aber beide nutzten, von Moderator Basil Kerski geschickt und vom heftig applaudierenden Publikum unterstützt, die Chance zu einer politischen Bilanz nach der Abwahl der Regierung von Jaroslaw Kaczynski. Eine Abwahl, so Borusewicz, die nur der jungen Generation zuzuschreiben ist, die durch massive Wahlbeteiligung den sicher geglaubten Sieg der Kaczynski-Partei PiS verhinderte. „Sie dachten an die Zukunft“, analysierte er, und Gesine Schwan sekundiert: „Die Regierung Kaczynski war nicht repräsentativ für die Einstellung der Menschen, sie kam bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent ins Amt, hinter ihr standen nur 20 Prozent der Bevölkerung.“

Einer polnischen Bevölkerung, auch da waren sich Borusewicz und Schwan einig, die alles andere als antieuropäisch eingestellt ist. Ganz im Gegenteil – und Polen habe ja durch die Solidarnosc etwas sehr Wichtiges nach Europa eingebracht. Diese freie Gewerkschaft mit ihren neun Millionen Mitgliedern habe die Opposition überall ermutigt, ohne sie wären die kommunistischen Regime in Osteuropa nicht so schnell in die Knie gegangen.

Und der Mythos Solidarnosc lebt und wirkt fort, stellte Borusewicz, der dritthöchste Repräsentant der polnischen Demokratie, fest. Und der Kommunismus? „Der hat keine Spur hinterlassen“, sagt er, „der starb eines natürlichen Todes.“ Der polnische Teil des Auditoriums applaudiert begeistert.

Der Beifall des gesamten Publikums war Gesine Schwan sicher, als sie die deutsche Seite im Zusammenhang mit der Vertreibung vor einer neuen Geschichtsdiskussion warnte. Man solle selbstverständlich um die Opfer trauern. Aber diese Trauer dürfe kein Vorwand sein, den Nationalsozialismus nicht mehr als Ursache, sondern nur noch als Anlass der Vertreibung der deutschen Minderheit zu werten. Empörend sei das.

Ansonsten war man sich einig, gemeinsam nach vorne zu blicken – die Zukunft liegt in Europa, gleich, ob man nun diesseits oder jenseits der Grenze lebt.

Gerd Appenzeller

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