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Politik: Der Lehnseid von Dortmund

Von Robert Birnbaum

Als wir noch richtige Kaiser hatten, richtige Grafen und Ritter, gab es den Brauch der Huldigung. Das war nicht allein ein prunkvoller Akt – Kniebeuge der Reichsfürsten vor der Krone, davor und danach Zirkusspiele –, sondern ein nüchtern staatsrechtlicher Vorgang. Die Gewaltigen erkannten vor aller Augen den Herrscher an und schworen ihm Gefolgschaft. Wer sich den eigenwilligen Ablauf des CDUParteitags in Dortmund vor Augen hält, kann darin eine modernisierte Variante dieses Rituals erkennen, Zirkus inklusive. Ob das den Planern bewusst war, bis in die letzte Konsequenz der Parallele?

Parteitage vor Wahlen sind symbolische Ereignisse: Guckt mal, wie stark und geschlossen wir sind! So weit, so CDU. Originell war in Dortmund, wer redete – und wer nicht. Nichts gesagt hat das Kompetenzteam der Kanzlerkandidatin, auch nicht der neue Schwarze Ritter Kirchhof; stumme Getreue an Königin Angelas Tafelrunde, Altkaiser Kohl inmitten. Reden durften – mussten? – neben Kandidatin und CSU-Chef die Ministerpräsidenten der CDU. Das sollte die Behauptung untermauern, dass es besser gehe, wo die Union regiert. Aber es lief symbolisch auf den Huldigungsakt hinaus. Die Reichsfürsten legitimieren die Königin.

Das ist im Sinne Merkels erst mal listig gemacht. Die CDU-Chefin hat angesichts der ungewöhnlich konstanten Umfragewerte allen Grund zu glauben, dass sie regieren wird. Sie hat es dann auf absehbare Zeit mit einer Unionsmehrheit im Bundesrat zu tun. Länderinteressen folgen keinem Parteiprogramm und keinem Koalitionsvertrag. Da mag es nützlich erscheinen, die Landesherren öffentlich eine Loyalität beschwören zu lassen, an die man sie erinnern kann. Sie übernehmen Mitverantwortung für den Sieg wie für den Erfolg danach. Aber wie die mittelalterliche Zeremonie hat auch die Neuauflage für den Herrscher ihre Schattenseite. Die Fürsten waren nur zur Huldigung bereit, wenn ihre Privilegien verbrieft waren.

Die CDU-Fürsten werden auf ihre Rechte auch ohne Brief und Siegel pochen. Eine Tatsache, die für das Urteil über Wahlausgänge und Koalitionen wichtiger ist, als man gemeinhin denkt. Ein (ohnehin unrealistisches) rot-rot-grünes Bündnis wäre gegen den Bundesrat bewegungsunfähig. In einer großen Koalition wäre die Konstellation zumindest prekär. Eine Kanzlerin Merkel würde beständig zwischen der Erwartung des SPD-Partners hin- und hergerissen, dass sie gefälligst durchregieren möge, und der Erwartung der eigenen Partei, dass sie im Doppelspiel mit dem Bundesrat die SPD ausbremst. Für Liebhaber verzwickter Brettspiele eine reizvolle Vorstellung. Wer das faktisch großkoalitionäre Gewurstel der letzten Jahre leid ist, gewinnt der Idee wenig ab.

Und eine schwarz-gelbe Regierung? Kann auch nicht an den Fürsten vorbei regieren – aber Frontmachen gegen eine „eigene“ Bundesregierung haben so richtig nur die Bayern drauf. Das düstere Gemälde einer Königin Merkel Ohneland ist darum surreal. Aber realistisch ist die Erwartung, dass die Kanzlerin auf keinerlei freiwillige Unterstützung setzen kann. Zumal sie selbst bisher wenig dafür tut, wenigstens Halbgetreue an sich zu binden. Wenn sie gut regiert, kann ihr alles egal sein. Bei der ersten Panne darf sie auf Loyalität nicht mehr bauen. So gesehen war der Lehnseid von Dortmund die letzte Gelegenheit. Vor 8000 tobenden Anhängern kann sich keiner aus dem Ritterorden der Verneigung entziehen. Die gilt bis zum Wahltag – höchstens.

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