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Politik: "Der letzte Krieg in Europa?": Lektion Kosovo

Sind die Deutschen vorbereitet auf den Krieg? Akzeptiert es, erträgt es die Öffentlichkeit, wenn nach den Anschlägen von New York und Washington möglicherweise bald auch Bundeswehrsoldaten im Hindukusch töten müssen oder getötet werden?

Von Hans Monath

Sind die Deutschen vorbereitet auf den Krieg? Akzeptiert es, erträgt es die Öffentlichkeit, wenn nach den Anschlägen von New York und Washington möglicherweise bald auch Bundeswehrsoldaten im Hindukusch töten müssen oder getötet werden?

Die Beschäftigung mit der bisher einzigen großen Auseinandersetzung, in der deutsche Soldaten ihre Waffen gebraucht und als Kampfpiloten Bomben geworfen haben, an den Kosovo-Krieg, stimmt da eher skeptisch: Zwar trägt die Berliner Regierung heute auf dem Balkan erstmals die Verantwortung für eine internationale Militärmission, nachdem sie die Führung für den neuen Nato-Einsatz zur Befriedung Mazedoniens übernommen hat. Aber in Deutschland ist die publizistische Erinnerung an den Kosovo-Krieg weitgehend bestimmt vom Leiden der serbischen Zivilbevölkerung unter dem Nato-Bombardement und von Versagens- oder gar Täuschungsvorwürfen an die Verantwortlichen. Seltener ist die Rede vom erfolgreichen Bemühen, die Vertreibung der Kosovaren gestoppt und das Ende des Milosevic-Regimes eingeleitet zu haben.

Die Regierungslinke, die sich damals mit der Entscheidung zum Einsatz so schwer tat, scheint die Debatte um diesen ersten deutschen Krieg nach 1945 so ermattet zu haben, dass sie nicht mehr gerne daran zurückdenkt. Dabei sind noch längst nicht alle Lektionen des Kosovo-Krieges gelernt. Als Eintritt in eine neue Ära der deutschen Politik wertet Günter Joetze die Teilnahme am Kampf um das Kosovo in seinem Buch "Der letzte Krieg in Europa?". Anders als viele Kritiker, die vor allem Außenminister Joschka Fischer eine unselbstständige und unkritische Haltung gegenüber den USA vorwarfen, kommt der frühere Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik zu dem Schluss, dass die Bundesregierung einen maßgeblichen politischen Beitrag zur Beendigung dieses Krieges geleistet hat.

Dabei ist der letztlich glückliche Ausgang der Auseinandersetzung alles andere als selbstverständlich - manche schwere Fehler sind den Politikern des Westens damals unterlaufen, manche Entscheidung wie etwa die zur Aufwertung der UCK zur Kriegspartei belastet heute die Stabilität auf dem Balkan. So unterschätzten die Verantwortlichen der Nato nach Joetzes Urteil vor allem das Risiko einer militärischen humanitären Mission und glaubten nach den Erfahrungen des Bosnien-Krieges, Luftangriffe könnten Milosevic innerhalb von zwei Wochen zum Einlenken zwingen.

Es kam anders - und die von Fernsehbildern geschockte Öffentlichkeit verstand die eigene Regierung nicht mehr. Doch diese sachliche Kritik des Autors hat nichts zu tun mit den häufig zitierten Vorwürfen, wonach Racak gar kein Massaker gewesen sei, es den von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zur Rechtfertigung präsentierten serbischen "Hufeisenplan" zur Vertreibung der Kosovaren nie gegeben habe oder die Nato bei den Verhandlungen in Rambouillet der serbischen Regierung bewusst unannehmbare Bedingungen gestellt habe, um in den Krieg ziehen zu können ("Rambouillet-Lüge"). Für keinen dieser Vorwürfe hat Joetze, der als erster Buchautor die Akten des Kanzleramtes und des Auswärtigen Amtes nutzen konnte, Belege gefunden.

Unweigerlich zieht der Leser Parallelen zum aktuellen Kampf gegen den Terror, wenn der Autor die Überschätzung deutscher Möglichkeiten durch die Kritiker der Bundesregierung beschreibt, denn Einfluss hatte schon damals nur, wer auch für die Folgen des gemeinsamen Handelns gerade stehen wollte: Die militärischen Planer der USA gaben sich europäischen Wünschen gegenüber weitgehend taub und stellten auch den Nato-Rat vor vollendete Tatsachen. Das hatte einen Grund, der auch heute noch gültig ist: Die europäischen Armeen, insbesondere die Bundeswehr, sind in ihren Fähigkeiten den amerikanischen Streitkräften bei Interventionen außerhalb des Nato-Gebietes hoffnungslos unterlegen. Wer auf Militär als politisches Instrument nicht verzichten kann und die politische Ohnmacht überwinden will, muss sich einen Weg zur militärischen Stärkung Europas überlegen, der die Nato nicht sprengt.

Joetze gelingt auf knappen Raum eine gedanklich disziplinierte, sehr überzeugende Darstellung des Kosovo-Krieges. Die argumentative Redlichkeit, die auch Gegenpositionen Raum gibt, und die Verwertung der amtlichen Unterlagen machen seine Darstellung deutscher Einflussversuche, Entscheidungen und Erfolge präziser und verlässlicher als jede andere bisher erschienene Untersuchung zum Thema.

Wer diesen Beitrag zur politischen Aufklärung liest, gewinnt ein neues Bild vom Verhalten der deutschen Akteure in diesem Konflikt. Dass die Außenpolitik der Berliner Republik auch in dieser schweren Krise vor ihrer stetig wachsenden Verantwortung nicht mehr zurückschreckte, sondern auch ohne die Unterstützung einer noch immer sehr zögerlichen heimischen Öffentlichkeit innerhalb des europäischen und transatlantischen Rahmens politische Phantasie entwickeln konnte und erfolgreiche Initiativen ergriff, die nicht nur die Partner in der EU überzeugten und banden. Diese Grunderkenntnis Günter Joetzes stimmt in schwierigen Zeiten durchaus zuversichtlich. Auch weil diese Erkenntnis noch immer nicht viele Freunde hat, sind dem Buch besonders viele Leser zu wünschen.

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