zum Hauptinhalt
Einer für alle. Arvind Kejriwal und seine Partei sind beliebt bei den kleinen Leuten. Dass sie es überhaupt an die Macht schafften, gilt als Überraschung. Foto: Sajjad Hussain/AFP

© AFP

Politik: Der Mann mit dem Besen

Die Wahl von Arvind Kejriwal zum neuen Regierungschef des Stadtstaates Neu-Dehli ist überraschend Der Politnovize will die Korruption in ganz Indien bekämpfen – und begeistert die Massen.

Er kam wie ein einfacher Bürger zu seiner Vereidigungszeremonie. Ohne Autokonvoi, Sirenen und Eskorte. Stattdessen fuhr er bescheiden Metro und brach so demonstrativ mit Indiens notorischer Vip-Kultur. Der Politnovize Arvind Kejriwal wurde am Samstag als neuer Regierungschef des Stadtstaates Delhi eingeschworen – und Zehntausende feierten ihn fast wie einen Erlöser. „Heute Delhi, morgen das ganze Land“, rief die Masse, die selbst die Polizei auf mindestens 100 000 Menschen schätzte. Denn die Vereidigung der Kabinettsmitglieder fand nicht wie gewohnt im Büro des Vizegouverneurs statt, sondern dort, wo die neu gegründete Partei als Protestbewegung ihren Anfang genommen hatte – auf dem weitläufigen Ramlila-Festgelände in Neu-Delhi.

Der 44-Jährige löst Sheila Dikshit von der Kongresspartei ab, die nach 15 Jahren im Amt nicht mehr wiedergewählt wurde. Man könnte dies als bloßen Machtwechsel in Delhi abtun, aber es ist weit mehr: Kejriwals Aufstieg kommt einer stillen Revolution gleich, die, sollte sie Schule machen und sich ausweiten, das alte Machtgefüge Indiens erschüttern und die korrupten Eliten hinwegfegen könnte.

Nicht von ungefähr ist das Symbol von Kejriwals Aam-Aadmi-Partei (AAP), der Partei des einfachen Mannes, ein Besen. Der Mann mit der weißen Kappe und den unmodischen Pullovern wird von einer Mission getrieben: mit der Korruption aufzuräumen, die das Land im Würgegriff hält.

Schon sein Amtsantritt war beispiellos. Gleich am ersten Tag strafversetzte er neun Beamte. Er verzichtete auf eine noble Stadtvilla, die ihm zustünde, und will in seiner bescheidenen Etagenwohnung wohnen bleiben. „Unser Land wird ausverkauft“, sagt er. „Wir müssen das System säubern.“ Als ehemaliger Finanzbeamter weiß er, wovon er spricht. 2006 schied er freiwillig aus dem Staatsdienst aus, um Aktivist zu werden.

Vom Straßenaktivismus an die Macht: Die AAP ist aus den Anti-Korruptions-Protesten des Volkshelden Anna Hazare hervorgegangen, der mit seinem Hungerstreik 2011 Zehntausende mobilisierte. Kejriwal überwarf sich später mit Hazare und gründete im Oktober 2012 die AAP. Lange räumte niemand der Newcomer- Partei ernsthafte Chancen ein.

Doch die etablierten Parteien hatten offenbar den Unmut der Wähler völlig unterschätzt. Bei den Wahlen Anfang Dezember in Delhi verblüffte die AAP mit einem spektakulären Debüterfolg. Aus dem Stand wurde sie mit 28 von 70 Sitzen zweitstärkste Kraft – nur knapp hinter der Hindu-Partei BJP, die 31 Sitze ergatterte. Die Kongresspartei schmolz auf acht Sitze zusammen.

Nachdem die BJP sich geweigert hatte, eine Minderheitenregierung zu führen, erklärte sich die AAP bereit. Die Kongresspartei sagte Unterstützung von außen zu. Der Neuling Kejriwal geht damit ein hohes Risiko ein. Auf ihm ruhen nicht nur die Hoffnungen von Millionen Wählern in Delhi. Ganz Indien blickt gespannt auf das Experiment in Delhi. Denn im Mai 2014 stehen Bundeswahlen an. Die seit zehn Jahren regierende Kongresspartei muss nach einer Serie von Korruptionsskandalen um ihre Wiederwahl bangen. Kejriwal hat angekündigt, dass die AAP landesweit antreten wird. Doch der Widerstand der Machteliten ist gewaltig. Auch Kejriwal warnte: „Wir haben keinen Zauberstab, um alle Probleme über Nacht zu lösen.“

Kejriwal sei zu einer „neuen moralischen Kraft in Indiens Politik“ aufgestiegen, schrieb die Zeitung „India Today“. Aber die Erwartungen der Menschen seien riesig. „Die Wähler sehen ihn als Retter.“ Delhis „feine Gesellschaft“ ist dagegen nicht begeistert vom neuen Mann. Kejriwal ist keiner von ihnen, kein weltgewandter Oberschichtenspross, der sich souverän auf dem politischen Parkett bewegt. Er stammt aus einer Mittelschichtsfamilie im Bundesstaat Haryana. Bereits jetzt zerreißen sich die oberen Zehntausend über sein bisweilen unbeholfenes, manchmal gar slapstickartiges Auftreten den Mund. Doch gerade damit kommt er bei den kleinen Leuten an.

Zur Startseite