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Politik: Der neue Charme

Selten hörten die Europäer so viel Lob aus dem Weißen Haus wie vor diesem Bush-Besuch

Er redet ruhig, charmant. Keine Drohung kommt über seine Lippen, nicht einmal eine Forderung. Stephen Hadley, der neue Sicherheitsberater im Weißen Haus, vollbrachte am Donnerstag ein diplomatisches Kunststück. In einem Gespräch mit Journalisten informierte er über die Europareise von Präsident George W. Bush. Und: So viel Lobhudelei war selten. Konflikte? Gibt es nicht. Stattdessen würden wichtige Werte geteilt und Prinzipien. Bush werde am Montag, in seiner Grundsatzrede in Brüssel, die Vision einer „vereinigten transatlantischen Gemeinschaft“ verkünden. Er werde dabei Amerikas Wunsch nach einer engen Partnerschaft mit Europa zum Ausdruck bringen. Gemeinsam werde man die Welt „sicherer, gesünder, reicher und freier“ machen.

Der neue Ton ist gewöhnungsbedürftig. Wer in diesen Tagen durch Washington zieht, trifft überwiegend Menschen, die die neue Europaliebe der BushRegierung mit Skepsis kommentieren. Schon in der Wortwahl liegt Distanz. Die Charakterisierung reicht von „Charmeoffensive“ bis hin zum „Happytalk“ und einer „Feel-good-Tour“. Substanziell, meint jeder, sei kaum etwas zu erwarten. Ist nur der Ton neu oder auch die Politik? Das ist die entscheidende Frage.

Wer Hadley genau zuhört, spürt, welch große Einlullungskraft in der amerikanischen Umarmungsstrategie liegt. Auf der Agenda, sagt er, stehe die Unterstützung für die neuen Regierungen in Afghanistan und dem Irak, der Friedensprozess in Nahost, der Kampf gegen den Terror und die Verbreitung von Freiheit und Demokratie. Bush werde an seine letzte Ansprache zur Amtseinführung und seine Rede an die Nation anknüpfen. Mit anderen Worten: Die angeblich gemeinsame Agenda trägt zu mindestens siebzig Prozent die Handschrift des Weißen Hauses.

Raffiniert werden die Europäer in ihrer Haltung zu Iran umgarnt. Wieder beschwört Hadley das große Maß an transatlantischer Gemeinsamkeit, das mehrere Punkte umfasse: Teheran muss sein Atomwaffenprogramm aufgeben, die Unterstützung des Terrorismus beenden und die Menschenrechte respektieren. Das ist zunächst die bekannte harte US-Linie. Kein Wort verliert Hadley über Gegenleistungen, die die Europäer den Mullahs gerne anbieten würden.

Was also ist zu erwarten? Bush wird als Gastgeschenk zwei Gelübde mitbringen. Erstens: Die US-Regierung unterstützt wieder vorbehaltlos ein starkes und vereintes Europa. Sie verzichtet auf Spaltungs- oder Schwächungsversuche. Zweitens: Die US-Regierung verspricht, Europa als ihren wichtigsten Partner wieder ernst zu nehmen und zu konsultieren. In der Tat hat Bush seit seiner Wiederwahl der neuen Zusammenarbeit mit den europäischen Verbündeten die höchste Priorität eingeräumt. Zwei volle Tage und drei Nächte verbringt er in Brüssel, dem europäischen Herzen. Manchmal begründet ein neuer Stil auch eine neue Politik.

Doch die Differenzen in vielen Sachfragen bleiben. Iran, China, Russland: Das sind die drei Konfliktherde, die jederzeit eskalieren können. Keiner weiß, ob es gelingt, Teheran zum überprüfbaren und endgültigen Verzicht auf sein Atomwaffenprogramm zu bewegen. Was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern? Ist Europa dann erneut blauäugig gewesen, oder haben das die Amerikaner mit ihrer Sturheit verbockt? Stichwort China: Europa will das Waffenembargo aufheben. Dagegen formiert sich im Pentagon und im Kongress erheblicher Widerstand.

Schließlich Russland: Jene Zeiten, in denen Bush in die Seele von Wladimir Putin sah und sie für anständig befand, sind längst vorbei. Zunehmend steht der US-Präsident unter Druck von Demokraten und Menschenrechtlern aus seiner eigenen Partei, die autoritären Tendenzen Putins zu kritisieren. Sollte Europa die drohende Entfremdung nutzen, um sich selbst bei Moskau noch stärker anzubiedern, würden die transatlantischen Beziehungen erneut leiden.

Bush in Europa: Ein Neuanfang wird gewagt. Aber es wird allenfalls ein Neuanfang mbH – mit beschränkter Hoffnung.

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