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Der Papst in Assisi: Wenn Franziskus scheitert, scheitert die Kirche

Der Papst ist in Assisi, und dort kommt zusammen, was zusammengehört. Franziskus hat seine Kirche befreit. Doch noch hat er zu wenig Unterstützer für seine Reformen - und das ist eine große Gefahr, nicht nur für ihn.

Man hüte sich vor verfrühten Heiligsprechungen. Aber es ist schon so: Wenn Franziskus heute Franziskus besucht, der Papst aus Rom das Grab des „armen“ Heiligen in Assisi, dann kommt zusammen, was zusammengehört: Da ist der eine, der vor acht Jahrhunderten eine erstarrte Kirche verlebendigt hat, von unten, gezielt auch den Apparat provozierend, nicht durch Revolutionsgeschrei, sondern durch ein „ganz normales“, mitreißendes Leben. Da ist der andere, der es heute genauso macht. Von oben. So passt eins ins andere.

Und die verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der sich dieser Papst durch seine ersten sechs Monate bewegt hat, hat längst als Legende entlarvt, was Jorge Mario Bergoglio selbst über die Wahl seines Namens erzählt hat. „Franziskus“ – das kam ihm nicht spontan, als ihm ein Kardinal in der Sixtinischen Kapelle zuflüsterte: „Vergiss die Armen nicht!“ Der Name war Bestandteil eines lange gereiften Programms. Mit diesem wirbelt Franziskus heute nicht nur durch seine Kirche. „Der Vatikan“ ist Person geworden. Auf ihn schaut alle Welt.

Seine Presseleute kommen Franziskus nicht hinterher. Es gibt nichts, was über ihn zu verlautbaren wäre. Die Nachricht ist er selber. Die Kommunikation schafft er. Kaum hat das eine Interview Furore gemacht, erscheint bereits das nächste – und während in der stillgelegten Apostolischen Wohnung sein revolutionärer Kardinalsrat die Kurienreform erörtert, ist Franziskus schon wieder draußen bei den Massen auf dem Petersplatz. Er schottet sich nicht ab, er braucht Kontakt, die Menschen strömen zu ihm. Da gibt es kein Oben und kein Unten mehr, da ist ungefilterte Nähe. Tuchfühlung.

Stillstand ist nichts für Franziskus. Seit seiner ersten Predigt drängt er die Kirche zur Dynamik; „Museumsstatuen haben wir genug“, sagt er. Papst Benedikts Rede von der „Entweltlichung“ erschien immer als blutleeres Rückzugskonzept in eine gläubige Innerlichkeit; Franziskus hat die selbe Sache nur umgestülpt: Er verkörpert eine neue „Ver“-Weltlichung der Kirche. Das Abschiednehmen von eigenen, allzu lieb gewordenen Apparaten. Das Abwerfen dieses „mondänen“ Ballasts. Er geht selber hinaus, gerade dahin, wo es wehtut. Den um ihre Zukunft in Europa bangenden Flüchtlingen sagt er: „Danke, dass ihr da seid. Ihr verteidigt unsere Menschenwürde.“ Und diejenigen, die es nicht nach Europa geschafft haben, betrauert er offensiv: Von einem "Tag der Tränen" spricht er und meint die vielen Toten nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa am Donnerstag. Das ist eine Umkehrung der Perspektive, ganz im Stil des Heiligen, den er an diesem Freitag besucht.

Franziskus hat seine Kirche befreit. Zum einen aus jenem ängstlichen oder aggressiven Misstrauen der Welt gegenüber – jener „Kultur des Todes“, wie es vor ihm hieß –, zum anderen aus den Engführungen einer in immer gleichen Phrasen erstarrten Sexualmoral. Franziskus hat keine einzige Norm geändert, aber er verzichtet auf den Blick ins Schlafzimmer. Durch seine Person packt er die Gläubigen bei ihrer Verantwortung. Wir müssen das Evangelium verkünden, sagt er, der Rest läuft von selber. Und verblüfft stellt das klerikale Rom fest: Die bisher negativen Vorurteile gegenüber dem Vatikan hätten sich ins Positive verkehrt. „Das Blatt hat sich gewendet.“

Es ist nur so: Franziskus zieht und zieht. Der fast 77-jährige geht mit unbändiger Energie und Präsenz zu Werke. Doch noch immer zieht er allein. So viele schauen fasziniert auf ihn und warten auf die „ganz große“ Kirchenreform. Was stellen sie sich darunter eigentlich vor? Wenn nicht bald ein Ruck durch diese Kirche geht, wenn nicht alle Hand anlegen, dann rackert sich dieser arme Mann zu Tode, und der Karren steckt immer noch fest. Dann wird es heißen: Franziskus, er war ein großer Papst, aber er ist gescheitert. Nein. Nicht er. Gescheitert werden dann alle sein, die sich eine „andere Kirche“ vorstellten. Sie hatten ihre Chance.

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