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Der Papst in den USA: Wer nicht fehlbar ist

Am Dienstag fliegt der Papst in die USA. Die Reise erfordert besonderes Fingerspitzengefühl, denn in letzter Zeit hat er eine Menge zerbrochenes Porzellan zu verantworten. Benedikt XVI. steht vor seiner weltpolitisch wichtigsten Reise, meint Martin Gehlen.

Den 81. Geburtstag und dritten Jahrestag seiner Wahl verbringt Papst Benedikt XVI. in Amerika. Dienstag fliegt er nach Washington und New York. Es ist seine weltpolitisch bislang wichtigste Reise. Er spricht vor der UN-Vollversammlung, trifft Präsident Bush und gedenkt auf Ground Zero der Opfer des 11. September. Die durch eine Skandalserie von Kindesmissbrauch und kirchlicher Vertuschung erschütterten Katholiken erwarten von dem greisen Pontifex Wegweisung und Ermutigung.

Das erfordert von Benedikt XVI. viel Fingerspitzengefühl, um den hohen Erwartungen gerecht zu werden, aber auch, um kein weiteres Porzellan zu zerschlagen. Denn die Fehltritte häufen sich. Der Pontifex, der in seiner ersten Predigt in der Sixtinischen Kapelle in feierlichem Latein die Ökumene als wichtigstes Anliegen benannt hatte, führt selbst schwere Lasten im Gepäck. Auf nahezu allen ökumenischen und interreligiösen Feldern wachsen die Spannungen, Verstimmungen und Vorwürfe.

Im Verhältnis zu den protestantischen Kirchen herrscht Eiszeit

Während Vorgänger Johannes Paul II. die Juden Zeit seines Lebens als „die älteren Brüder der Christen“ bezeichnete, münzte Nachfolger Benedikt XVI. auf sie eigenhändig die Fürbitte, „dass unser Gott ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen“. Zwei in letzter Minute nachgeschobene Begegnungen mit jüdischen Vertretern in den USA sollen nun helfen, die Wogen zu glätten.

Im Verhältnis zu den protestantischen Kirchen herrscht durch die wiederholt schroffen „und ausdrücklich vom Papst gebilligten Lehrschreiben“ der Glaubenskongregation Eiszeit. Die evangelikalen Kirchen in den USA, die teilweise noch eine antirömische Rhetorik wie zu Luthers Zeiten pflegen, fühlen sich voll bestätigt. Und die Moderaten winken ab. Herausgehobene Begegnungen mit Vertretern dieser Schwesterkirchen sucht man in dem päpstlichen Besuchsprogramm bei der größten protestantisch geprägten Westmacht vergeblich.

Ratzinger war nie ein kirchenpolitischer Kopf

Der Nachhall der Regensburger Rede ist noch nicht verklungen, da sorgte der Pontifex in der Osternacht mit der demonstrativen Taufe eines muslimischen Konvertiten erneut für Irritationen. Als der Neukatholik, ein Mailänder Journalist ägyptischer Herkunft, tags drauf in einem Zeitungsartikel den Islam als Religion beschrieb, in der Hass, Intoleranz und blinde Unterwerfung gepredigt werde, ging die Kurie verlegen auf Distanz.

Ratzinger war zeitlebens nie ein kirchenpolitischer Kopf. Für Benedikt sind Ökumene und interreligiöser Dialog – anders als für seinen Vorgänger – nicht primär ein Geschehen symbolischer Zuwendung und existenziellen Respekts. Für ihn ist es primär ein Vernunftgeschehen, ein Ringen um die Wahrheit – und eben auch ein Pochen auf die eigene, überlegene Wahrheit. Benedikt persönlich kennt Glaubenszweifel, wie seine Enzykliken und sein Jesusbuch zeigen. Als oberster Sprecher der Kirche jedoch legt er eine Wahrheitsgewissheit an den Tag, die von Andersgläubigen als bedrängend, atemberaubend oder gar als verletzend empfunden wird. In der letzten Predigt vor seiner Papstwahl hatte Nochkardinal Ratzinger seinerzeit im Petersdom die „Diktatur des Relativismus“ angeprangert. Auf seiner USA-Reise, im Mutterland der „Bill of Rights“, benutzt er demonstrativ den Hirtenstab von Pius IX., der Gewissensfreiheit und Menschenrechte als „Wahnsinn“ bezeichnete und das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit kanonisierte. Ökumene und Dialog jedoch sind immer ein Stück Relativismus – schon aus Achtung vor dem Glauben der anderen.

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