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Politik: Der Prager Oberrabiner verurteilt den Bau im tschechischen Aussig scharf - "Es entsteht ein neues Ghetto"

Wie rassistisch sind die Tschechen? Diese Frage wird jetzt häufig gestellt - angesichts der "Schandmauer", die die nordwestböhmische Stadt Usti nad Labem (Aussig) errichten ließ, um eine Roma-Siedlung von anderen Wohnhäusern zu trennen.

Wie rassistisch sind die Tschechen? Diese Frage wird jetzt häufig gestellt - angesichts der "Schandmauer", die die nordwestböhmische Stadt Usti nad Labem (Aussig) errichten ließ, um eine Roma-Siedlung von anderen Wohnhäusern zu trennen. "Wenn die Mauer stehen bleibt, können wir unsere EU-Mitgliedschaft vergessen", wetterte Tschechiens Außenminister Jan Kavan. Das Bauwerk sei kein Symbol des Fremdenhasses, sondern nur ein "Schutz vor Schmutz und Lärm durch meist asoziale Elemente, ganz gleichgültig ob diese Roma oder Nicht-Roma sind", halten die Bewohner der betroffenen Aussiger Maticni-Strasse dagegen.

Das Problem liegt wieder einmal in der Vergangenheit: Die historische böhmische Romabevölkerung ist zum großen Teil Opfer der Nazis geworden. Nachgezogen ins Land sind nach 1945 vor allem "Ost-Zigeuner", wie sie damals genannt wurden. Ihre Lebensweise und ihre Nomadenkultur wurden während der KP-Diktatur zerstört, indem mit Gewalt versucht wurde, sie seßhaft zu machen. Das Ergebnis war, dass viele der "neuen" Roma ins soziale Abseits abgedrängt wurden. Die vor 1938 als tolerant und liberal geltende tschechische Gesellschaft, die später von der KP-Propaganda vier Jahrzehnte lang gezielt zu Vorurteilen erzogen wurde - gegen die Deutschen, gegen den Westen, gegen die "Zionisten", hat sich von dieser Gehirnwäsche noch lange nicht erholt. Daher ist auch vielen nicht klar, dass das offenkundige Sozialproblem in Aussig mit einem wie auch immer begründeten "Schutzwall" nicht zu lösen ist.

Tschechiens Oberrabiner Karel Sidon entschloss sich nun zu einer Schocktherapie. In Aussig entstehe ein Ghetto für Menschen, die zusammen mit den Juden in Konzentrationslagern der Nazis gelitten hätten, erklärte er nach Presseangaben vom Dienstag. Er rief sogar zu einem Boykott Aussiger Produkte auf. Ob die drastische Mahnung auch wirken wird, bleibt aber fraglich; eine Folge der früheren "Sowjetisierung" ist nämlich auch ein neuer Antisemitismus, nachdem in der offenen tschechischen Gesellschaft der 30er Jahre dieser als überwunden galt.

Der für die EU-Erweiterung zuständige deutsche Kommissar Günter Verheugen versuchte indes die Wogen der internationalen Empörung über Aussig zu glätten, indem er die Bemühungen des offiziellen Prag hervorhob, die Mauer zu beseitigen. Nachdem das Kabinett und das Parlament sich eindeutig von dem Bauwerk distanziert hatten, wurde jetzt Vize-Innenminister Pavel Zarecky beauftragt, mit der Aussiger Stadtverwaltung über den Abbruch zu verhandeln. Die Regierung verfüge nicht über genügend Kompetenz, den Abriss direkt zu veranlassen, hieß es dazu in Prag. Die Roma bereiten unterdessen für Freitag einen "Mauer-Protest" in mehreren tschechischen Städten vor. Ein Teil der rund 150 direkt Betroffenen in Aussig bekräftigte außerdem die Drohung, notfalls nach Deutschland auswandern zu wollen.

Alexander Loesch

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