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Politik: Der Pranger im Internet

Tschechische Behörde stellt Liste mit Stasi-Informanten ins Netz – Debatte über Umgang mit sozialistischer Vergangenheit

Unmittelbar zum 40. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings ist in Tschechien ein Streit über den Umgang mit der sozialistischen Vergangenheit des Landes entbrannt. Eine staatliche Behörde stellt seit kurzem die Namen von früheren Geheimdienstmitarbeitern und Informanten der Staatssicherheit unverschlüsselt ins Internet. Dort können die Tschechen jetzt per Online-Suchmaschine nach ihren Nachbarn, Kollegen und Verwandten suchen – auch einige führende Politiker stehen in dem Verzeichnis. Die ersten Betroffenen setzen sich jetzt gegen die Veröffentlichung zur Wehr. Sie fühlen sich diffamiert und zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Einer der prominentesten Fälle ist der des sozialdemokratischen Abgeordneten Pavel Ploc. Als Vertrauensmann des Militärgeheimdienstes wird er in den Akten geführt, sein Deckname steht bei der Online-Variante auch gleich dabei: „Pavel“ hieß er für die Spionage-Abteilung. Ploc selbst allerdings streitet ab, dem Geheimdienst jemals Informationen zugetragen zu haben. Seine Erklärung des Vorgangs: Er war in den 80er Jahren professioneller Skispringer – und wie damals üblich, diente er während seiner Sportlerkarriere beim Militär. Dass dort der Geheimdienst der Armee auf ihn aufmerksam geworden sein könnte, das gilt in Tschechien inzwischen als wahrscheinlich.

Tatsächlich räumen auch Wissenschaftler ein, dass die Einstufung als Vertrauensmann in den Unterlagen eines Geheimdienstes kein Beleg für die wissentliche Mitarbeit sein müsse. Häufig seien die Zielpersonen beim abendlichen Bier von ihren Gesprächspartnern ausgehorcht worden, ohne davon etwas zu ahnen.

Für diese These spricht nach Einschätzung von Experten, dass zahlreiche frühere Spitzensportler auf dem Verzeichnis der Geheimdienst-Zuträger aufgetaucht sind. Sie alle waren Mitglieder der Streitkräfte und seien dort wegen ihrer zahlreichen Auslandsreisen besonders überwacht worden: „Man hatte Angst, dass Armeeangehörige im Ausland andere Meinungen vertreten könnten als die offiziellen Stellen oder sogar gleich flüchten könnten“, sagte Pavel Zacek vor tschechischen Journalisten. Er leitet das „Institut zur Untersuchung der totalitären Regime“, das die Informationen über die früheren Geheimdienstmitarbeiter im Internet veröffentlicht. 19 Kilometer Material warten nach Auskunft des Instituts noch in den Archiven, täglich scannten die Mitarbeiter mehr als 1000 Seiten ein und stellten sie online.

Die Liste der Prominenten, die im Geheimdienstarchiv auftauchen, ist allerdings schon jetzt lang. Mehrere Parlamentsabgeordnete aus verschiedenen Parteien stehen darauf, auch ein stellvertretender Generalstabschef der tschechischen Armee und der Vorsitzende des olympischen Komitees sollen dort geführt werden. Die meisten von ihnen weisen die Anschuldigungen zurück, als Zuträger für die Staatssicherheit gearbeitet zu haben. Bei einigen von ihnen ist sogar wegen der hohen Ämter erst unlängst überprüft worden, ob sie sich im kommunistischen Regime etwas zuschulden haben kommen lassen – ohne negatives Ergebnis.

In Tschechien wird deshalb jetzt mit Leidenschaft darüber debattiert, wie sinnvoll die ungeprüfte Veröffentlichung der Namen von mutmaßlichen Geheimdienstmitarbeitern eigentlich ist. Der radikale Schritt des staatlichen Instituts immerhin ist einer der ersten Versuche, die sozialistische Vergangenheit in der früheren Tschechoslowakei aufzuarbeiten.

Erst unter der konservativen Regierung, die vor knapp zwei Jahren ihr Amt antrat, ist das möglich geworden, nachdem zuvor mehrere Anläufe immer wieder gescheitert waren. Jetzt steht die Methode des Instituts allerdings möglicherweise schon vor einer juristischen Überprüfung: Der Abgeordnete Pavel Ploc, der sich durch die Veröffentlichung seines Namens verleumdet sieht, hat bereits rechtliche Schritte gegen die Vergangenheitsaufbereitung per Internet angekündigt.

Kilian Kirchgeßner[Prag]

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