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Politik: Der Protest ist jung geworden

Bei den Demonstrationen gegen den Castor-Transport herrscht Volksfeststimmung. Und die Grünen machen auch wieder mit

Die Fragen der Journalisten nimmt Wolfgang Ehmke schon selbst vorweg: „Warum machen wir das alles eigentlich Jahr für Jahr? Ist das inzwischen nicht alles Routine?" Die Antwort liefert der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zum Auftakt der Anti-Castor-Proteste im Wendland sicherheitshalber gleich mit: „Weil nichts von dem, was wir wünschen, eingelöst worden ist." Und weil er nicht der einzige ist, der das so sieht, stehen an diesem Wochenende wieder mehr als 5000 Menschen frierend auf einer Wiese bei dem Nest Splietau und demonstrieren. Und 13 000 Polizisten sind auch da.

Wer in diesen Tagen rund um die Kreisstadt Dannenberg nur flüchtig hinschaut, dem drängt sich das Bild vom Karneval auf. Die Stimmung ist wie bei einem Volksfest, die Menschen sind kostümiert, die Greenpeace-Jugend wirft Kamelle ins Publikum. Der Castor rollt nach dem vorgesehenen Zeitplan ausgerechnet am 11.11. ins Wendland ein, und was den Rheinländern ihr „De Zoch kütt“, heißt hier „Stoppt Castor". Am Mittwoch fährt der Atommüll vermutlich ins Zwischenlager ein, Aschermittwoch für die Protestierer.

Viele von denen, die hier stehen, sind seit Jahren dabei. Jochen Stay von der Initiative „X-tausendmal-quer" hält wie gewohnt seine „Kleine Blockade-Fibel“ in die Luft, Landwirts-Urgestein Adi Lambke stützt sich auf seinen Stock, aber für ganz viele ist der Castor-Protest auch Neuland. Der Widerstand ist jung geworden. Was schon bei den Irak-Demos und bei der Berliner Kundgebung gegen den Sozialabbau zu beobachten war, setzt sich im Wendland fort. Es sind Schüler, die bei der Auftakt-Kundgebung die Szene bestimmen. Kein Zufall, dass Greenpeace seine Jugendgruppe nach vorn schickt. Die Grüne Jugend hat auch eine Abordnung mit dabei, und die niedersächsischen Grünen wollen eine öffentliche Fraktionssitzung im Wendland abhalten. Trotzdem hat man in der Region nicht vergessen, wer ihnen den Atomkonsens eingebrockt hat. Ehmke rügt die „billige Ausstiegsrhetorik“des Bundesumweltministers, die große Wut gegenüber Rot-Grün, die noch vor zwei Jahren den Castor-Widerstand beseelte, scheint aber abgeklungen zu sein.

Die Polizei ist allüberall, doch zu tun hat sie bisher fast nichts. Noch ist die Zuschauerrolle für sie reserviert. Als Robin-Wood-Aktivisten am Sonntag früh den Förderkran in Gorleben besetzen, bleiben die Beamten gelassen. Weil die Betreiber des Zwischenlagers keinen Strafantrag stellen, sieht die Polizei auch keinen Anlass zum Einschreiten.

Im Moment spricht alles dafür, dass es auch in den nächsten Tagen nicht zur großen Eskalation kommen wird. Zu eingespielt wirken beide Seiten inzwischen. Am Samstagabend bleibt Polizei-Einsatzleiter Friedrich Niehörster in seinem abendlichen Kommunique der Hinweis, dass der Protest „locker, gelöst und absolut störungsfrei“ verlaufen ist.

Was nicht ganz stimmt. Aber als ein paar verbissene Veganer den einzigen Bratwurststand auf der Kundgebungs-Wiese blockieren, weil sie den Fleischverkauf als Teufelswerk empfinden, regeln die Castor-Gegner dies unter sich. „Wenn ihr schon so überschüssige Energien habt, habe ich einen Tipp für euch: Da hinten könnt ihr mithelfen, Gemüse zu schnippeln“, wird das Problem vom Podium aus gelöst.

Peter Stoeckenius[Hamburg]

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