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Politik: Der rosarote Kater

Eine Krisensitzung jagte die andere. Hinter den verschlossenen Türen ging es heiß her.

Eine Krisensitzung jagte die andere. Hinter den verschlossenen Türen ging es heiß her. "Es brodelt und dampft wie in der Hölle", umschreibt ein Abgeordneter die Stimmung bei den europäischen Sozialdemokraten, die diese Woche in Straßburg in streng abgeschotteten Fraktionssitzungen die Scherben ihrer gescheiterten Politik zusammenkehrten.

Für die SPE, die Sozialdemokratische Partei Europas, war die vergangene Plenumswoche in Straßburg eine Woche der peinlichen Pleiten. Schlagartig wurde für alle sichtbar, was sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren der Straßburger Legislaturperiode für aufmerksame Beobachter längst abgezeichnet hatte: Ein dramatischer Einfluss- und Machtverlust der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.

"Die Sozialisten erwarten von uns stets politische Schützenhilfe, sind aber nicht bereit, uns an anderer Stelle entgegenzukommen," sagt Daniel Cohn-Bendit, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament. Die Rechnung wurde den Sozialdemokraten diese Woche bei der Wahl des Parlamentspräsidenten präsentiert: Die Mehrheit der Grünen stimmte für den irischen Liberalen Pat Cox, der auch von den Christdemokraten unterstützt wurde.

Damit nicht genug: In der Wahl, den Vorsitz entweder für den Umweltausschuss oder für den Wirtschafts- und Währungsausschuss zu stellen, entschied sich die Fraktion der Sozialdemokraten für den Wirtschaftsausschuss. "Das war politisch zweifellos die falsche Entscheidung", kommentiert ein Christdemokrat in Straßburg mit kaum verborgener Freude. "Der Euro ist eingeführt. Hier fallen keine wichtigen Entscheidungen mehr." Völlig unverständlich wird die Entscheidung der SPE-Fraktion, wenn man weiß, dass die Sozialdemokraten über eine überaus rege und engagierte Umwelt- und Verbraucherschutzexpertin verfügen, die Berliner Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt.

Das Desaster der Sozialdemokratischen Fraktion hat einen Namen: Enrique Baron Crespo. Der Spanier, der keineswegs ein Baron ist, sondern nur so heißt, war bei der Wahl des SPE-Fraktionsvorsitzenden vor zweieinhalb Jahren eine Notlösung. Nur unwillig trat der ehemalige spanische Verkehrsminister sein eigentlich politisch interessantes, aber mühsames Amt an. Seither versieht er es mit spürbarer Unlust. Selbst seine engen Mitarbeiter beklagen sich über seine notorische Entscheidungsschwäche, sein Desinteresse und seine Unfähigkeit, strategisch zu denken.

Schlimmer noch: Im Unterschied zur Ära Kohl, der in engem Kontakt zu den Christdemokraten im EU-Parlament stand, lässt Gerhard Schröder das geschrumpfte Fähnlein der Sozialdemokraten in Straßburg links liegen. "Unsere Fraktion hat jetzt den Tiefpunkt erreicht. Bei uns herrscht inzwischen", so sagt ein hochgradig deprimierter SPD-Politiker in Straßburg, "ein allgemeines Gefühl der Frustration".

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