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Politik: Der Rotstift zwingt den Verteidigungsminister, sich mutiger der Zukunft zuzuwenden (Kommentar)

Da schießt Paul Breuer aber übers Ziel hinaus. So ist es aus seiner Sicht: die Bundeswehr eine "Abbruchbude", die Deutschen ohne Einfluss im Nato-Bündnis, die Armee nicht mehr handlungsfähig.

Da schießt Paul Breuer aber übers Ziel hinaus. So ist es aus seiner Sicht: die Bundeswehr eine "Abbruchbude", die Deutschen ohne Einfluss im Nato-Bündnis, die Armee nicht mehr handlungsfähig. Und das, weil der Wehretat nicht so wie geplant steigen kann und 8000 Wehrpflichtige weniger einberufen werden. Aber auf Schlagzeilen wie "Bedingt abwehrbereit" - Ausgangspunkt der Spiegel-Affäre 1962 - wird der Christdemokrat vergeblich warten.

Wenn Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu kritisieren ist - und das betrifft dann erst recht seinen Vorgänger Volker Rühe -, so gewiss nicht dafür, dass er die Truppe zu schnell umbaut. Im Gegenteil, die Reform kommt viel zu langsam voran. Zehn Jahre nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ist die Bundeswehr immer noch hauptsächlich für die Landesverteidigung gerüstet, also gegen einen Angriff des Warschauer Pakts, den es längst nicht mehr gibt. Künftig aber geht es um Krisen à la Bosnien und Kosovo - und hier ist die Bundeswehr nur bedingt einsatzbereit.

Schon die turnusmäßige Ablösung der SFOR- und KFOR-Truppen bringt sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Neue UN-Einsätze mit deutscher Beteiligung darf es vorerst nicht geben. Wäre es nach Scharping gegangen, hätte er mit größeren Einschnitten noch ein volles weiteres Jahr gewartet, bis die Wehrstrukturkommission ihren Bericht vorlegt.

Wenn Deutschland Gefahr läuft, sich nicht seinem Gewicht gemäss an der Friedenssicherung in der Welt beteiligen zu können, dann nicht, weil die Bundeswehr 2000 nur noch 321 000 Mann umfasst. Sondern, weil darunter viel zu wenig Soldaten und Einheiten sind, die für den Einsatz als hochmobile Krisenreaktionskräfte ausgebildet und ausgerüstet wurden. Die Armee darf ruhig kleiner werden - wenn nur der Anteil für Krisenreaktion kräftig steigt. Da möchte man schon fast dankbar sein, dass ausgerechnet der Rotstift den Verteidigungsminister zwingt, sich mutiger der Zukunft zuzuwenden. Aber eben nur fast; denn dem Sparpaket fallen auch Beschaffungen zum Opfer, die für das neue Konzept schneller Einsatztruppen unverzichtbar sind, etwa der Transporthubschrauber "NH 90".

Rudolf Scharping hat das gar nicht gern: dass ihm die Diskussion unter Zeit- und Etatdruck aufgezwungen wird. Das widerspricht seinem Naturell. Er möchte die Strukturreform als sein "Gesamtkunstwerk" vorlegen und im Einklang mit der Truppe voranbringen. Sie könnte sonst endlosen Streit auslösen mit Konflikten um die Schließung von Standorten, die ein lokaler Wirtschaftsfaktor sind. Dann die Unruhe unter den Berufssoldaten: Karriereplanungen geraten ins Wanken, Kindern werden weitere Schulwechsel zugemutet.

Vor allem aber ist da die Scheu vor einer Debatte um das Ende der Wehrpflicht. Braucht eine Armee der Deutschen immer neue Staatsbürger in Uniform, weil sie sonst der demokratischen Kontrolle allmählich entgleiten könnte? Scharping plagt diese Sorge nach Jahrzehnten der Inneren Führung womöglich weniger. Es ist vielmehr die um den Nachwuchs: Der Wehrdienst ist hierzulande noch immer ein Schnupperkurs für spätere Berufssoldaten, ohne den sie sich für einen anderen Job entschieden hätten.

Doch das Spiel auf Zeit nähert sich dem Ende. Angesichts der Budgetprobleme wird die Wehrstrukturkommission ihren Bericht schon im Frühjahr 2000 vorlegen müssen, rechtzeitig für den Etat 2001. Ihre Empfehlungen braucht Scharping: als Argumente gegen neue Milliardenkürzungen und für eine Zukunft, die anders aussehen muss, als Paul Breuer sie sieht.

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