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Politik: Der russische Vormarsch wird gebremst - doch die Spannungen zwischen USA und Russland nehmen zu

Wurden die Zahlen über russische Opfer geschönt? Eine Organisation von Soldatenmüttern nannte die Zahl von 720 Getöteten - offiziell ist von 460 Opfern auf russischer Seite die RedeDie russische Armee hat am Donnerstag ihre Angriffe auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny und die Rebellenhochburg Urus-Martan verstärkt.

Wurden die Zahlen über russische Opfer geschönt? Eine Organisation von Soldatenmüttern nannte die Zahl von 720 Getöteten - offiziell ist von 460 Opfern auf russischer Seite die Rede

Die russische Armee hat am Donnerstag ihre Angriffe auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny und die Rebellenhochburg Urus-Martan verstärkt. Nach russischen Angaben verließen bereits zahlreiche Aufständische den 20 Kilometer südwestlich von Grosny gelegenen Ort. Unterdessen verlangte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von der russischen Regierung, einen sicheren Korridor für Flüchtlinge aus Tschetschenien zu öffnen. Die Organisation reagierte damit auf Berichte über sieben getötete Zivilisten, die in einem tschetschenischen Dorf Zuflucht vor russischen Angriffen gesucht hatten. US-Außenministerin Madeleine Albright warnte am Mittwoch in Washington angesichts des Konflikts vor einem Rückfall in Denkstrukturen des Kalten Krieges.

"Das letzte, was wir tun sollten, ist Russland wieder zu einem Feind zu machen", sagte Albright vor dem Hintergrund zunehmender bilateraler Spannungen wegen des Tschetschenien-Krieges. "Wir haben 50 Jahre in diesem Zustand verbracht", erklärte Albright. "Der zehnte Jahrestag des Falls der Berliner Mauer hat mir noch einmal deutlich gemacht, wieviel Zeit wir im Kalten Krieg verloren haben." Eine Feindschaft der USA zu Russland sei "nicht der richtige Ansatz". Funktionierende Beziehungen zu Moskau seien "essenziell". Zugleich wiederholte Albright die Forderung nach einer politischen Lösung des russisch-tschetschenischen Konfliktes.

Russlands Regierungschef Wladimir Putin bot den Tschetschenen eine Teilamnestie an. Der Straferlass solle aber nur für jene Rebellen gelten, die "kein Blut von russischen Bürgern an den Händen haben". Wenn sie ihre Waffen freiwillig niederlegten, werde ihnen keinerlei Repression drohen. Zu einem möglichen Sturm auf Grosny sagte Putin, es gebe "mehrere Möglichkeiten". "Die Beste ist, das die Leute einsehen, dass sie ihre Waffen abgeben müssen." Die Bevölkerung von Grosny werde von den "Banditen" als Schutzschild missbraucht. Die Zivilbevölkerung habe aber die Möglichkeit, die Stadt zu verlassen: "Wir stehen bereit, sie aufzunehmen und sie zu versorgen."

Russland bombardiert Tschetschenien seit Anfang September und marschierte Anfang Oktober in die Kaukasus-Republik ein. Nach Darstellung Moskaus dienen die Militäraktionen der Bekämpfung von "Terroristen". Die Regierung macht sie für Bombenangriffe in Russland verantwortlich, bei denen fast 300 Menschen getötet worden waren. Die internationale Kritik weist Moskau als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands zurück.

Ein Anfang Oktober über Tschetschenien abgeschossener Pilot erzählte in einem am Donnerstag ausgestrahlten Fernsehbeitrag seine Geschichte. Sergej Smyslow sagte dem Fernsehsender NTW, er sei knapp zwei Wochen durch die Wälder geirrt. Dann sei er festgenommen und eine Woche festgehalten worden. Unter "obskuren" Bedingungen sei er schließlich freigekommen. Die Militäragentur AWN meldete, der etwa 30-Jährige sei von pro-russischen Tschetschenen befreit und der Armee übergeben worden.

Heftige Kämpfe um Grosny

Russische Truppen haben sich am Donnerstag vor der Stadt Urus-Martan mit tschetschenischen Kämpfern heftige Gefechte geliefert. Kampfflugzeuge bombardieren seit Tagen die 20 Kilometer südwestlich von Grosny gelegene Stadt, um etwa 3.500 Rebellen zu vertreiben. Eine mögliche Besetzung gilt als wichtiger strategischer Vorteil, weil die russischen Streitkräften von dort aus die Erstürmung Grosnys vorbereiten könnten.

Augenzeugen berichteten, die Soldaten hätten sich auch vor der Ortschaft Argun, 15 Kilometer östlich von Grosny, eingegraben. Wegen Nebels konnte die russische Luftwaffe am Donnerstag nur wenige Angriffe fliegen. Der russische Generalmajor Wladimir Schamanow sagte, die Soldaten nutzten das schlechte Wetter, um neue Stellungen zu beziehen. Er habe 100-prozentiges Vertrauen in einen russischen Sieg, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Itar-Tass.

Die russische Polizei nahm nach Angaben der Flüchtlinge mehrere Menschen an der Grenze zu Inguschetien fest. Begründet worden sei dies damit, dass die Menschen keine vernünftigen Fotos im Pass hätten oder denselben Namen trügen wie ein tschetschenischer Kommandeur. Die Grenzbeamten gaben an, sie verhafteten nur gesuchte Verbrecher oder tschetschenische Rebellen.

Eine Gruppe von russischen Müttern, deren Söhne in Tschetschenien kämpfen, warf der Militärführung am Donnerstag vor, sie verheimliche die im Tschetschenienkrieg erlittenen Verluste. Die Vorsitzende der Vereinigung, Veronika Martschenko, sagte, dass bisher mehr als 720 russische Soldaten ums Leben gekommen seien. Nach offiziellen Angaben liegt die Zahl der Getöteten bei 460. Martschenko sagte, sie habe guten Kontakt zu einigen höherrangigen Militärs und sei sich deshalb sicher, dass die Opferzahl bewusst niedrig gehalten werde.

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