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Politik: Der Schatten einer Reform

Von Tissy Bruns

Wer die nächste Wahl gewinnen will, muss Personal und Pläne haben. Das Erste ist schon schwer genug. Doch gleichviel, die Union wird Kanzlerkandidatin und Schattenkabinett rechtzeitig präsentieren. Mit den sachlichen Plänen ist es in harten Zeiten viel vertrackter. Die SPD hat es in ihren Oppositionszeiten tunlichst vermieden, sich auf die Regierungsmacht mit durchgerechneten Konzepten vorzubereiten, zum Schaden des Landes. CDUChefin Angela Merkel hat es versucht, zu ihrem eigenen Nachteil und zu dem der Union. Seit gestern, nach scharfem Streit, steht die Schattenreform für das Gesundheitswesen – wem wird das nutzen?

Verbindlich lässt sich sagen: Der Vorschlag belebt die Konkurrenz um die besseren politischen Ideen. Die Bundesregierung hat schnell und heftig reagiert, mit einem Kanzlerwort. Gerhard Schröder liest ganz viel „Merkel“ in das Unions- Konzept hinein; die SPD wird es nachbeten. Denn Merkel ist zur Chiffre für die neue soziale Kälte der Union geworden, wozu allerdings nicht die SPD, sondern die CSU und Horst Seehofer die hauptsächlichen Beiträge geleistet haben. Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände sehen dagegen das große Einknicken der CDU-Vorsitzenden und leisten damit auf ihre Art indirekte Schützenhilfe für die christlichen Volksparteien: So hart kann das Konzept ja nicht sein, wenn die Rogowskis es zu mattherzig finden.

Wie viel Merkel, wie viel Seehofer wirklich darin steckt, darüber entscheiden weder die Papierform noch die Interpretationskämpfe. Vielleicht ist das gemeinsame Konzept nur ein Mäuslein, gemessen an der rauschhaften Radikalität des Leipziger CDU-Parteitags vor einem Jahr. Misst man es dagegen an der trübsinnigen Realität im Gesundheitswesen, kann man dem Unionsvorschlag eine ähnliche Reichweite bescheinigen wie der Hartz-IV-Reform der Bundesregierung.

In beiden Fällen geht es um die Entflechtung von sozialer Sicherheit und Arbeitsverhältnissen. Auch wenn wir es gern perfekt hätten, steht über den Reformen der Bundesregierung nicht zufällig die heimliche Überschrift: das große Experiment. Für die papiernen Pläne der Opposition gilt das erst recht. Wer solche Megasysteme umbaut, muss mit Überraschungen, Fehlern und Nachbesserungen rechnen. Das gesamte Zahlenwerk von Merkel und Stoiber basiert auf dem Ist-Zustand. Ihr Konzept ordnet zwischen Versicherten, Arbeitgebern und Steuerzahlern neu, wer wie viel aufzubringen hat für die Summe, die heute im Gesundheitswesen ausgegeben wird. Dass die in zwei oder zehn Jahren deutlich anders aussehen kann, weiß jedes Kind. Was umgekehrt heißt, dass eine auf den Euro definierte Prämie aus dem Jahr 2004 nach der nächsten Bundestagswahl noch einmal durch die Rechenmaschinen laufen muss, nicht anders als die Steuerpläne. Außerdem wird sich die Union nach zwei Seiten politisch vergewissern müssen, was mehrheitsfähig ist. Bei der konkurrierenden Volkspartei SPD und bei der FDP, die in großem Stil eine Privatisierung der Gesundheitsversicherung anstrebt.

Bei aller Unbestimmtheit in der Sache zählt als gemeinsame Botschaft aus der Union: Veränderung muss sein, und davon nicht zu wenig. Insofern hat Angela Merkel mehr durchgesetzt als Edmund Stoiber, und Horst Seehofer hat allen Anlass für sein langes Nachdenken. Der strategische Streit zwischen CDU und CSU dreht sich um die Frage, wie viel Ehrlichkeit der Kampf um Mehrheiten 2006 braucht und verträgt. Es sieht danach aus, als könnten CDU und CSU, Merkel und Stoiber es nicht nur schaffen, die Streitaxt zu begraben, sondern auch von den jeweiligen Stärken zu lernen. In vier Wochen sind die Parteitage von CSU und CDU schon wieder Vergangenheit. Vor einem Jahr hat Merkel mit ihrem Reformschwung die Delegierten mitgerissen; diesmal wird wahrscheinlich nicht gejubelt. Aber wenn Merkel das solide Gesellenstück einer geeinigten Union abliefern kann, dann wird sich eine schlichte Frage an die Bundesregierung richten: Was hat sie denn eigentlich vor?

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