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Politik: Der Schock als Wendepunkt

Blair übernimmt die Präsidentschaft – und will die EU britischer machen

Tony Blair war wütend. „Europa gehört keinem“, zischte er. Der französische Präsident, Jacques Chirac, hatte ihm mangelnden europäischen Geist vorgeworfen. Aber Blair war auch zuversichtlich. „Nun können wir uns hoffentlich nach vorn bewegen“, sagte er morgens um zwei Uhr auf der Pressekonferenz nach dem Brüsseler Krisengipfel. Blair glaubt, dass der britischen Europavision die Zukunft gehört. Deshalb setzte er beim Rat den blutjungen Europaminister Douglas Alexander ganz nach vorn. Im Vergleich zu Schlachtrossen wie Gerhard Schröder und Jacques Chirac sah der aus wie ein Konfirmand.

Man werde das Debakel von Brüssel einmal als Wendepunkt sehen, behauptete Außenminister Jack Straw. Ein heilsamer Schock, der die Chance eröffne, die Verbindung mit den Realitäten und den Bürgern wieder herzustellen. Siebenmal mehr für Agrarsubventionen als für die Forschung auszugeben, gehört für die Briten nicht dazu. Es gehe nicht darum, wer am solidarischsten mit Europa ist, sondern was Europa heute und nicht vor 50 Jahren bedeute. „Die Menschen hören hin. Die Frage ist, ob auch die politischen Führer zuhören wollen“, warnte Blair.

Erst einmal steht er aber als kleinkrämerischer Sündenbock da, der die EU wegen ein paar Milliarden in ihre schwerste Krise seit Jahrzehnten stürzte. Man streitet, ob Blair auf die Strategie des Franzosen Chirac hereinfiel, der den Britenrabatt hochspielte, um vom Debakel des französischen Referendums abzulenken und seine angekratzte Reputation bei den Osteuropäern wiederherzustellen. Oder ob das Reden der Briten über eine neue Vision nur ein Mäntelchen für „nationalen Egoismus“ und den 4,6 Milliarden Euro teuren Britenscheck war.

Oder meint Blair es mit der fundamentalen Diskussion über Europas Zukunft ernst? In den kommenden sechs Monaten kann er zeigen, was er meint. Am 1. Juli übernehmen die Briten die EU-Präsidentschaft. Am Donnerstag erläutert Blair dem EU-Parlament seine Pläne und Visionen. Die EU soll flexibler werden. Blair wird für sein System werben und zeigen, wie das britische Sozialsystem von sinkender Arbeitslosigkeit profitiert hat.

Aber Blair weiß auch, dass er neue Verbündete braucht. Deshalb spielt London nun ein „long game“, setzt darauf, dass in europäischen Hauptstädten bald eine neue Generation von Politikern antritt, Angela Merkel in Deutschland oder Nicolas Sarkozy in Frankreich. Verbündete, die den britischen Reformweg nicht wie Schröder und Chirac als „angelsächsichen Ultrakapitalismus“ verteufeln oder wie der luxemburgische Ministerpräsident Jean Claude Juncker die Augen davor verschließen, dass die Ergebnisse der Referenden in den Niederlanden und in Frankreich erst einmal ein Stopp bei der politischen Integration bedeuten.

Genügend Verbündete hat Blair jedenfalls zu Hause. Die Krise der EU eint das Land auf einen neuen Europakonsens. Plötzlich ist Europa für die Briten wieder mehr eine Chance als eine Gefahr. Blair mag dabei gescheitert sein, Großbritannien „ins Herz Europas“ zu führen. Nun will er Europa nach seinem Bilde formen.

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