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Unter Beobachtung. US-Präsident Barack Obama musste zwischen seinen Demokraten und der Mehrheitsfraktion der Republikaner vermitteln, um mit einem regulären Etat weiterregieren zu können. Foto: AFP

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Politik: Der siebte Streich

Nach mehreren Notbudgets haben sich Amerikas Politiker auf einen Etat für 2011 verständigt – die Regierung kann weiterarbeiten

Die Zwangsschließung der Regierung ist doch noch abgewendet. Sie gelang freilich nicht mehr in letzter Minute oder um „5 nach 12“. Die Uhr zeigte bereits 30 Minuten nach Mitternacht, als der US-Kongress in der Nacht zum Sonnabend beschloss, die laufenden Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte mit einem weiteren Notbudget für eine Woche zu finanzieren. Dies ist bereits die siebte kurzfristige Verlängerung, aber es soll zugleich die letzte sein. Kurz vor Mitternacht waren getrennt voneinander der Verhandlungsführer der Republikaner, John Boehner, Präsident Barack Obama und der Verhandlungsführer der Demokraten, Harry Reid, vor die Kameras getreten und hatten die Lösung verkündet: Man habe einen Kompromiss für das gesamte Haushaltsjahr 2011 erzielt; um ihn in Gesetzesform zu gießen, brauche man einige Tage – und die werden mit dem Notbudget überbrückt.

Alle drei sagten, dies sei ein guter Kompromiss „im Interesse des amerikanischen Volkes“. Boehner, der republikanische Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, unterstrich, das Sparpaket sei auf 39 Milliarden Dollar gewachsen. Reid, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, betonte, die ideologischen Ziele der Rechten, Gesundheitsprogramme für Frauen und die Umweltaufsicht zu streichen, seien abgewehrt worden. Obama trat als überparteilicher Moderator auf und lobte, dass beide Lager trotz politischer Differenzen zum Kompromiss fähig seien. Die Gefahr, dass eine Regierungsschließung den nur zaghaften Wirtschaftsaufschwung nach der Finanzkrise bedrohe, sei nun gebannt. Dann traten der Senat und das Abgeordnetenhaus zusammen und beschlossen die Verlängerung für eine Woche.

Die Einigung kam nach einem Tag voll bitterer gegenseitiger Schuldzuweisungen und neuer Zumutungen zustande. Die Demokraten beklagten, die Republikaner würden sich nicht an getroffene Abmachungen halten und kämen mit immer neuen Forderungen, vorzugsweise solchen, die ideologisch motiviert und für das linke Lager unannehmbar seien: Kürzungen bei der Familienplanung, weil die Organisationen auch Abtreibungsberatung anbieten; und bei der Umweltschutzbehörde, die die Standards für die Reinhaltung von Luft und Wasser festlegt. Die Konservativen warfen den Demokraten vor, sie verweigerten die Einsicht in die Realität, wollten unumgängliche Kürzungen blockieren und trieben Amerika so in eine Verschuldungsspirale.

39 Milliarden Dollar Kürzungen aus dem laufenden Etat – das sind fünf Milliarden mehr als das Sparziel, das in den Tagen zuvor kursierte und damit ein Erfolg der Republikaner. Im Gegenzug wehrten die Demokraten die aus ihrer Sicht ideologisch motivierten Streichungen bei Familienplanung und Umweltschutz ab. Da auch die bisherigen Notbudgets mit Einsparungen verbunden waren, summieren sie sich inzwischen auf etwa 70 Milliarden Dollar. Welche Dienstleistungen und welche Bevölkerungsgruppen am stärksten betroffen sind, wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen, wenn die Details bekannt werden.

Der Etatentwurf 2011 beläuft sich auf 3,8 Billionen Dollar, das Defizit wird auf 1,5 Billionen veranschlagt. Die mit Abstand größten Ausgabenposten sind die staatlich garantierte Grundrente (Social Security), die ebenfalls staatlich getragene Gesundheitsversorgung für Senioren ab 65 Jahre (Medicare) und das Militär. Sie liegen bei je 800 bis 900 Milliarden Dollar. Bisher haben beide Parteien diese drei Bereiche von Kürzungen ausgenommen. Das soll sich 2012 ändern.

Die Medien schwanken zwischen Erleichterung, Zorn und Misstrauen. Die Behörden, Museen und Nationalparks müssen nicht schließen. Aber ist bei dieser siebten Kurzfristverlängerung darauf Verlass, dass ein volles Budget bis zum Ende des Haushaltsjahres am 30. September verabschiedet wird? Der ideologische Streit, zu wessen Lasten gespart wird, geht in jedem Fall weiter. Nach Abschluss des Budgets 2011 beginnt der Streit um drastische Kürzungen im Haushalt 2012. Und es folgt die Debatte um die Anhebung der Schuldenobergrenze. Sie liegt bei 14,3 Billionen Dollar, das entspricht einem kompletten Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA; sie wird im Mai erreicht.

Auch diese Gelegenheit wollen die Republikaner für Kürzungen bei staatlichen Leistungen nutzen, die nicht durch Sozialgesetze garantiert sind und nicht das Militär betreffen. Generell sind Konservative, aber auch viele parteiunabhängige Wähler überzeugt, dass der Staat möglichst klein gehalten werden soll und nicht die Aufgabe habe, sozialen Ausgleich herzustellen. Das sei die Aufgabe privater gesellschaftlicher Initiativen. Sie bekämpfen den Umfang staatlicher Zuständigkeit nicht nur bei der Gesetzgebung zu Sachbereichen. Sondern sie nutzen das Haushaltsrecht, um Programme finanziell auszutrocknen, die sie für unnötig erachten.

Dieser Ansatz hat durch den Erfolg der Tea Party bei der Kongresswahl im November einen neuen Energieschub erhalten. Auch die Einführung der Gesundheitsreform, die rechtskräftig verabschiedet wurde, wollen sie aushebeln, indem sie die Anschubfinanzierung aus dem Haushalt streichen. Der Präsident kann sein Veto nur gegen das gesamte Budget einlegen, nicht gegen Einzelmaßnahmen.

Für 2012 haben Präsident Obama und der republikanische Haushaltsexperte Paul Ryan konkurrierende Budgetentwürfe vorgelegt. Obama plant 3,7 Billionen Dollar Ausgaben, also nur leichte Kürzungen, und 1,6 Billionen Dollar Neuschulden. Ryan kürzt drastisch, vor allem bei den Sozialausgaben, kommt aber selbst dann zu einem rechnerischen Defizit von 990 Milliarden Dollar.

Christoph von Marschall[Washington]

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