zum Hauptinhalt

Politik: Der SPD-Vorsitzende Richard Dewes kämpft gegen die CDU auf verlorenem Posten

Der Aufsteiger wollte Macht und Ruhm. CDU und PDS zeigen schon jetzt SchadenfreudeAlbert Funk Richard Dewes gibt sich demütig.

Der Aufsteiger wollte Macht und Ruhm. CDU und PDS zeigen schon jetzt SchadenfreudeAlbert Funk

Richard Dewes gibt sich demütig. "Es geht um höhere Werte", sagt er. Da ist es Montagmorgen, und die SPD hat an der Saar und in der Mark gerade ein Debakel erlebt. Die "höheren Werte" werden wenige Stunden später in Berlin analysiert. Und der höchste Wert, der Kanzler und Parteivorsitzende, analysiert mit. Auch die Thüringer Landtagswahl am kommenden Sonntag ist ein Thema. Noch eine Niederlage steht an. Doch Dewes fehlt in Berlin. Er kämpft vor Ort. Und er kämpft tapfer. Der Reform- und Sparkurs der Bundesregierung müsse fortgesetzt werden und dürfe nicht auf dem "Opferaltar der Landtagswahlen" kaputt geredet werden. Um Dewes hat sich der geschäftsführende Landesvorstand versammelt. Zusammengekniffene Münder murmeln etwas von Geschlossenheit und Zusammenhalt. Wutausbrüche machen sich nicht gut, in Erfurt so kurz vor der Wahl.

Dabei müsste Richard Dewes eigentlich wütend sein. Ruhm, Ehre und Erfolg wollte er ernten. Nun ist er einer geworden, der auszog und das Fürchten gelernt hat. Das Fürchten um den eigenen Erfolg. Dass sein großes Vorhaben nicht gelingen werde: Ministerpräsident zu werden von Thüringen.

Ausgezogen war Dewes vor fünf Jahren. Damals übernahm der SPD-Politiker aus dem Saarland das Innenministerium in Erfurt. Gut ein Jahr später wurde er Landesvorsitzender. Mehr Schwung sollte er in den Laden bringen. Mehr Schwung auch nach links. Seither verbindet sich mit seinem Namen das Stichwort Rot-Rot. Dewes als Ministerpräsident in einem Bündnis mit der PDS - das galt fast schon als ausgemacht vor sechs, acht Monaten. Damals, als Oskar Lafontaine noch die SPD führte. Als Gregor Gysi sagte, die Scharte von Hessen (als Rot-Grün das Land an eine CDU/FDP-Regierung verlor) könne mit einem gemeinsamen Sieg von SPD und PDS in Thüringen ausgewetzt werden. Als Dewes frech verkündete, für eine Koalition mit der CDU stehe er nur noch zur Verfügung, wenn die SPD der stärkere Partner sei. Als SPD und CDU mit etwa 33 Prozent gleichauf lagen in den Umfragen.

Nun herrscht Depression. Der Wind hat sich gedreht. 45 Prozent für die Schwarzen, 22 Prozent für die SPD, 21 für die PDS lautet die letzte Umfrage. Dewes sieht nicht einem großen Triumph, sondern einer großen Wahlniederlage entgegen. Und die PDS bohrt schon tief in der Wunde. Vielleicht könne auch sie der SPD ein Angebot machen nach der Wahl, sagt die Spitzenkandidatin Gabriele Zimmer. Die PDS der SPD! "In den Umfragen lagen wir immer ein wenig unter dem späteren Ergebnis", sagt Zimmer, die in Suhl ein Direktmandat für die PDS gewinnen will. In Suhl, wo derzeit die Motorrad-Firma Simson von der Landesregierung gerettet wird. Zum Zwecke des Wahlkampfs, meint Gabriele Zimmer. Danach werde wohl Schluss sein mit Simson.

CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel spielt gern den Retter. Und weil das hin und wieder gelungen ist und Thüringen unter den Ost-Ländern nicht schlecht dasteht, hoffen Vogel und die CDU jetzt auf die Mehrheit der Sitze. Unermüdlich spult der Landesvater seine Auftritte ab, meist zwei am Tag, immer endend mit dem Biss in eine Thüringer Wurst. Auf den Wahlplakaten sieht man ihn einmal ernst abgebildet, das andere Mal mit einem Kukident-Lachen. "Top Thüringen" steht darunter. Vogels zweite Botschaft: Klare Verhältnisse. Wenn Dewes mit der PDS eine Koalition bilden könne, werde er es auch tun. Sagen Vogel und die CDU.

Die höchste Spaßbad-Dichte

Dewes sagt das nicht. Streng genommen hat er es nie gesagt. Aber er hat es nie ausgeschlossen. Nun steht er etwas neben sich bei seinen Wahlkampf-Auftritten. Zum Beispiel in Hildburghausen im Süden des Landes. Einige Neugierige verlieren sich auf dem Marktplatz. Lustlos die Rede des SPD-Landeschefs. Zum Thema Rot-Rot, das als einziges interessiert, sagt Dewes fast nichts. "Verhindern Sie mit uns eine schwarze Mehrheit", fordert er und serviert als Nachschlag ein bisschen Satire. "Eine SPD-geführte Landesregierung wird keine Spaßbäder finanzieren. Wir haben die höchste Spaßbad-Dichte aller Bundesländer, das brauchen wir nicht." Es "eichelt", wenn Dewes spricht. Fast masochistisch hat er sich in den letzten Wochen hinter Kanzler Schröder und Finanzminister Eichel gestellt. Hat gelobt und gewürdigt. Aber was bleibt ihm anderes übrig angesichts der absehbaren Niederlage? Ein wenig vorauseilende Häme allenfalls: Seine Bitte um Stimmen verbindet er mit dem Hinweis, "dann unterstützen Sie auch die Bundes-SPD und Gerhard Schröder". Es soll nicht nur seine Wahlniederlage sein.

Einige Male ist Dewes vorgeführt worden aus den eigenen Reihen. Vor allem mit der Ankündigung von Bundesverkehrsminister Franz Müntefering, den Bau der ICE-Trasse durch Thüringen zu stoppen. Mitten im Wahlkampf. Natürlich gibt es gute Gründe für den Stopp, finanzielle, ökologische, verkehrspolitische. Aber was hilft das, wenn der Koalitionspartner CDU es zum Symbolthema aufpolieren kann nach der Melodie "Rot-Grün in Berlin lässt Thüringen hängen und verkommen"? Dewes ist unglücklich. Auch auf dem Plakat, das ihn mit Schröder zeigt: Kanzler und Minister beißen jeder in eine Wurst, den Blick geradeaus, an der Kamera vorbei. Kein Bild von Eintracht.

In Hildburghausen ist es der einstige Anwohner Wolfgang Thierse, der die höheren Werte vertritt. Der Bundestagspräsident hat in dem Städtchen die Schulbank gedrückt und sein Abitur gemacht. Nun wirkt Thierse angespannt. Rot-Grün habe gehalten, was versprochen worden sei, verkündet er den Umstehenden und nennt Stichworte: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zum Beispiel, mehr Kindergeld, Steuererleichterungen. "Haben Sie das vergessen", fragt Thierse drohend, "haben Sie das schon vergessen?"

Dewes steht daneben. Das Aufsteiger-Image ist angekratzt. Der immer ein wenig spitzbübisch wirkende 51-Jährige kommt aus kleinen Verhältnissen. Bergarbeitersohn aus Alsweiler im Saarland. Die Familie hielt nebenbei Hühner, um vom Eierverkauf das Einkommen ein wenig aufzubessern. Die SPD-Karriere des Juristen und Dr. theol.: Mit 16 bei den Jusos, mit 22 Ortsvereinsvorsitzender, mit 24 Juso-Unterbezirkschef, mit 37 Landtagsabgeordneter in Saarbrücken, fünf Jahre später SPD-Unterbezirksvorsitzender. Seit 1996 SPD-Chef in Thüringen. Hinter sich versammelt hat Dewes die Partei nicht, auch wenn die Wahlergebnisse für den Vorsitz über 90 Prozent lagen. Sein hauptsächlicher Gegenspieler in Sachen Rot-Rot, der Wissenschaftsminister Gerd Schuchardt, sagt derzeit zu dem Thema wenig. Er hat sich stets loyal gegeben und abgewartet. Seine Meinung sei bekannt, lässt er mitteilen. Bekannt ist: Schuchardt kann und will nicht mit der PDS. Nur ein einziges Mal hat er während des Wahlkampfes verlauten lassen, er glaube nicht, dass eine Mehrheit in der SPD für Rot-Rot stehe.

Das glaubt auch die PDS nicht. Im Grunde, ist dort zu hören, sei Rot-Rot in Thüringen schon im Frühjahr einen stillen Tod gestorben. Schuld hat selbstredend die SPD. Keine Angebote habe es gegeben, weder inhaltlich noch personell, von Dewes einmal abgesehen. Die SPD habe sich nicht bewegt, sich nicht vom "neoliberalen Schröder-Kurs" distanziert. PDS-Spitzenkandidatin Zimmer hat es auch aufgegeben, den verbalen Windungen von Dewes noch etwas abzugewinnen. Sie wisse nicht mehr, was Dewes wolle, sagt sie. Mehrheit sei Mehrheit, hat er einmal gesagt. Und dann wiederum die PDS als Auslaufmodell bezeichnet. Die PDS keilte dagegen mit dem Vorwurf der "Kriegspartei" während der Kosovo-Krise. Die SPD reagierte beleidigt. So dürfe man mit Sozialdemokraten nicht reden, sagt Dewes. Stasi, donnerte es aus der SPD mit Blick auf eine belastete Abgeordnete, die nun doch wieder - recht aussichtslos - kandidieren darf. Warum nicht?, hieß es darauf aus der PDS.

Engere Gespräche hat es zwischen den Parteiführungen in Thüringen kaum gegeben, tragfähige persönliche Verbindungen zwischen einzelnen Akteuren, wie es sie etwa in Magdeburg zwischen SPD und PDS gibt, fehlen in Erfurt. Gabi Zimmer weiß nur, dass angesichts der Verhältnisse in beiden Parteien eine knappe Mehrheit von ein, zwei Sitzen für eine lebensfähige Koalition nicht genügen würde. Die Verhältnisse in Thüringen müssten also deutlich sein.

Die CDU hat jüngst ein Plakat geklebt: Auf einem tiefroten Theatervorhang ist die Frage zu lesen, was wohl dahinter gespielt werde. "Nichts", sagt Gabi Zimmer resigniert. © 1999

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false