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Politik: Der Stellvertreter Von Martin Gehlen

Er war der Fels, auf den Christus seine Kirche gebaut hat. Johannes Paul II.

Er war der Fels, auf den Christus seine Kirche gebaut hat. Johannes Paul II. war ein Papst, dessen verschiedene Rollen zum Ende seines Lebens in eine einzige verschmolzen: der Stellvertreter Christi auf Erden zu sein, wie er ein Mann der Schmerzen, wie er ein kompromissloser Bote des Friedens, des Glaubens und der Versöhnung.

Gestern Abend ist er gestorben. Mit seinem Tod endet eines der längsten, ereignisreichsten und widersprüchlichsten Pontifikate während der 2000 Jahre des Christentums. Eine Generation lang, seit 1978, stand Johannes Paul II. an der Spitze aller Katholiken. Dieser Papst, der erste NichtItaliener auf dem Stuhle Petri seit dem Mittelalter, hat wie kein zweiter Kirchenführer das zurückliegende Jahrhundert geprägt. Er verstand sein Amt im ursprünglichen Sinn des Auftrags Christi an Petrus: Fels zu sein, Fundament. Hart und unbeugsam, widerständig und schroff. Für Jahrhunderte gemacht, Moden nicht unterworfen.

Von einem unbekannten polnischen Kardinal stieg Johannes Paul in den Rang einer globalen moralischen Autorität. Er hat die friedlichen Revolutionen in Osteuropa inspiriert, er hat das Verhältnis zwischen Christen und Juden entkrampft, er hat Maßstäbe gesetzt mit seinem Eintreten für Menschenrechte und seiner Kritik an den sozialen Missständen. Und er hat US-Präsident George W. Bushs religiös begründeter Kriegspolitik mit klaren Worten widerstanden.

Den gesamten Globus hat er bereist, wie ein Pop-Star ließ er sich vor allem in den ersten Jahren seines Pontifikats feiern. Millionen Gläubige - darunter viele junge Menschen - hat er in seinen Bann gezogen. In seinen letzten Jahren, krank, leidend und gebrechlich, wuchsen seine Popularität und Ausstrahlung. Die Unbeugsamkeit, die zuvor gerade in Deutschland als Starrheit kritisiert wurde, erschien nach dem 11. September, nach dem Irak-Krieg und angesichts einer wachsenden Werteverlorenheit der westlichen Welt in neuem Licht. Der Mut des Papstes wurde erkannt: der Mut, sich dem Zeitgeist nicht zu beugen, die eigene Agenda zu verteidigen, die Werte der Kirche zu bewahren, das eigene Alter, das eigene Leid nicht zu verstecken.

In den nächsten Wochen wird nun in der Katholischen Kirche, der ein Sechstel der Menschheit angehört, die Zeit für eine Weile stillstehen. 117 Kardinäle müssen aus ihren Reihen einen Nachfolger für Johannes Paul II. wählen. Dieser tritt ein reiches, aber auch ein schwieriges Erbe an. Er muss das Zeug haben, aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten. Denn so beliebt und weltgewandt, so glaubwürdig und menschenfreundlich Johannes Paul II. in der Welt war, so enorm sind auch die Defizite, die er hinterlässt. Die katholische Kirche ist während seines Pontifikates nicht einiger, nicht heiliger und auch nicht allgemeiner geworden. Sie ist erschüttert und zerrissen, ihre Botschaft wird selbst bei denen, die sich zu ihr bekennen, nicht mehr gehört. Ein Papst ohne das Charisma des Verstorbenen wird dieses Defizit nicht durch den eigenen moralischen Anspruch ausgleichen können. Er wird sich inhaltlich damit befassen müssen.

Er zeigt sich nicht mehr - so hat der Papst einmal in tiefer Depression die Entfremdung zwischen Gott und der Welt beschrieben. Er war der Stellvertreter Gottes auf Erden – und am Ende doch ein kranker, alter und mutiger Mensch. Das ist viel. Auch wenn man nicht glaubt.

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