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Politik: Der Streit zur rechten Zeit

Von Werner van Bebber

Im Verhältnis zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit ist vieles in Bewegung gekommen. Der Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh führte zur Debatte über Parallelgesellschaften in deutschen Großstädten. Der so genannte Ehrenmord an der türkischen Berlinerin Hakun Sürücü hat die Situation von Frauen und das Selbstverständnis junger Männer aus der muslimischen Community zum Thema gemacht. So ist das in Deutschland: Erst wenn Gewalt geschehen ist, werden soziale Fragen unausweichlich.

Immerhin, jetzt geht es darum, wie ethnische Minderheiten hier leben. Archaische Sitten stehen nicht mehr unter dem Multikulti-Tabu; es wurde auch höchste Zeit, mit diesem Tabu zu brechen. Was hinter der Wohnungstür der islamischen Familie geschieht, wie sie mit ihren Töchtern umgeht, was ihre Kinder lernen, das geht die Gesellschaft etwas an. Genauso offen ist auch über die Frage zu reden, ob sich Einwanderer aus anderen Kulturen und ganz besonders Muslime einer Befragung nach ihren Ansichten unterziehen müssen.

Die baden-württembergische Landesregierung hat mit ihrem „Gesprächsleitfaden“ für muslimische Einwanderer eine Vorgabe gemacht. Es war nicht die erste. Auch im Streit um das Kopftuch im öffentlichen Dienst haben die scheinbar so treudeutschen Baden-Württemberger früher als manche rot-rote oder rot-grüne Landesregierung ein schwebendes Thema aufgegriffen. Der Fragebogen arbeitet von der Religionsfreiheit über die sexuelle Selbstbestimmung bis zu der Frage, ob einer antisemitische Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 hat, alles ab, was muslimische Zuwanderer in Konflikt mit der deutschen Gesellschaft und ihrer Rechtsordnung bringen kann. Manches erinnert in durchschaubarer Spitzfindigkeit an die Fragen, die früher Kriegsdienstverweigerern gestellt wurden: Angenommen, jemand wolle Ihre Freundin vergewaltigen und Sie hätten zufällig eine Eisenstange zur Hand, würden Sie …? Auch ist da, wie üblich, gleich wieder der Streit über „Diskriminierung“: Offenbar muss man hierzulande noch immer, wenn es zum Beispiel um den Umgang mit den Töchtern geht, an Eides statt versichern, dass man nicht bloß türkische Kinder schützen will, sondern zum Beispiel auch afrikanische – weil sie eben genauso viel wert sind wie deutsche. Da geht in die richtige Richtung, was die hessische Landesregierung plant. Deren Fragebogen soll deutlich machen, dass einer die Gleichberechtigung und die Selbstbestimmung der Mädchen zu akzeptieren hat, will er Bürger dieses Landes werden.

Gewiss – ein Mohammed Atta hätte wohl jeden braven Abfrager getäuscht. Ob ein Fragebogen überhaupt das Mittel der Wahl ist, um herauszufinden, wer die deutschen Bürgerrechte erwerben darf, weil er in einem demokratischen und freien Land leben will, ist nicht ausgemacht. Man könnte darüber reden, ob es besser wäre, im Rahmen einer Einbürgerungsfeier über Grundrechte, Gewaltfreiheit, Glaubensfreiheit zu sprechen und eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben. Dazu können diejenigen aus der muslimischen Zuwanderer-Community etwas sagen, die sich in Deutschland wohl fühlen und das auch deutlich sagen. Längst gibt es auch auf der Seite der muslimischen Minderheit eine Bewegung weg von den Islamisten und denen, die den Westen hassen. Jedenfalls ist die Fragebogendebatte nötig. Und ausnahmsweise kommt sie nicht zu spät.

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