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Politik: Der Traum ist aus - jetzt zählen Interessen (Kommentar)

Kuba ist ein Mythos. Für die Linken in Europa ist die Karibikinsel der letzte Hort des Sozialismus, der nur an den imperialistischen Kräften der USA zu zerschellen droht.

Kuba ist ein Mythos. Für die Linken in Europa ist die Karibikinsel der letzte Hort des Sozialismus, der nur an den imperialistischen Kräften der USA zu zerschellen droht. Fällt die Blockade, wird aus Siechtum der Sieg entstehen. Für die Rechten ist Kuba die letzte Bastion des Kommunismus. Auf deren Fall, meinen sie, können sie getrost mit verschränkten Armen warten und dann die Kubaner den Segnungen des Kapitalismus zuführen. Fidel Castro bietet beiden Lagern eine ideale Projektionsfläche: Den einen ist er Idol, den anderen der letzte kalte Krieger.

Aber Mythen lassen keinen Platz für die Realität. Sie behindern die Entwicklung des Landes und sie behindern die politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands. Das staatlich organisierte Gesellschaftsgefüge in Kuba ist im Wandel. Da der Staat die eigene Bevölkerung nicht mehr ausreichend versorgen kann, hat Castro vor Jahren angefangen, liberale Zugeständnisse an die Wirtschaft zu machen. Im reichen Deutschland hört es sich lächerlich an: Aber die freien Bauernmärkte in Kuba, die Familienrestaurants und die kleinen Händler verändern die Gesellschaft. Die Menschen - jahrzehntelang vom Staat versorgt und eingehegt - entwickeln Initiative.

Sie schaffen Werte, nutzen die Nischen und schaffen so Räume der Freiheit. Noch geschieht dies zaghaft und vereinzelt, aber die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Auch die staatlichen Betriebe haben begonnen, mit kanadischen, spanischen, italienischen und auch einigen mutigen deutschen Unternehmen Joint Ventures einzugehen. Die Funktionäre an der Spitze dieser Unternehmen - teilweise direkt am Gewinn beteiligt - tragen zum Wandel im Überbau bei.

Doch die Frage ist, ob sich die modern denkenden und handelnden Menschen in Kuba nach dem Ende des alten Mannes an der Spitze halten können. Ob sie bis zu seinem Abgang ein Fundament für einen friedlichen Übergang von Scheindemokratie und Planwirtschaft zu einem freiheitlichen System bauen konnten. Oder ob das Land in Chaos, Korruption, Willkür und Kriminalität versinkt - also in die Zustände zurückfällt, die das Land vor der Revolution plagten.

Die europäischen Staaten werden daran einen erheblichen Anteil haben. Schließlich fallen die USA als Entwicklungshelfer in Sachen Demokratie und Wirtschaft völlig aus - nicht nur weil sie sich durch den unsinnigen Boykott selbst aus dem Spiel katapultiert haben, sondern weil sie in Kuba traditionell unbeliebt sind. Das sind die Europäer nicht. Im Gegenteil, gibt es doch zwischen Spanien und Kuba eine herzliche Verbindung jenseits jeder politischen Einstellung.

Die Bundesregierungen haben sich bislang nicht getraut, mehr als zaghafte Zigarrendiplomatie zu betreiben. Das ändert sich nun. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) ist gestern als erste deutsche Ministerin nach Kuba gereist, um politische Kontakte zu knüpfen. Die Regierung bemüht sich zu Recht, Kuba aus der Isolation zu helfen.

Und das demokratische Deutschland muss sich für die aufbrechende Isolierung interessieren, um die fortschrittlichen Kräfte in Kuba zu unterstützen - auch wenn sie politisch anders denken. Denn, wie gesagt: Kuba ist ein Mythos. Nicht nur für Europäer, sondern auch für die Menschen in den unterentwickelten Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Kuba schien die glückliche Verbindung aus Rum und Revolution eingegangen zu sein, durch die die seit Jahrhunderten geschundenen Menschen zu Recht gekommen sind. Dieses kubanische Modell ist aus wirtschaftlichen Gründen wirklich zu einem Mythos verkommen, das für Zentralamerika und die Karibik noch Sprengkraft entfalten kann. Und das kann Deutschland und Europa nicht recht sein.

Ulrike Fokken

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