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Zur Zukunft der EU: Der Traum von der politischen Union

Berlin und Paris bauen am Haus einer „Politischen Union“ – den Briten ist das ein Graus. Nun suchen Merkel und Sarkozy nach Lösungen.

Berlin - Ein Gespenst geht um in Europa. Es trägt den Namen „Politische Union“ und löst, je nach Perspektive und geografischem Standort, entweder Hoffnungen oder düstere Vorahnungen aus. Am Freitag treffen in Berlin zwei Protagonisten der Europa-Debatte aufeinander, die die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Zukunft des Kontinents verkörpern: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der britische Premier David Cameron. Merkel treibt derzeit die Diskussion darüber voran, dass die EU angesichts der Schuldenkrise in der Euro-Zone nicht so bleiben kann, wie sie ist. Cameron kann dagegen eine Debatte über eine Reform der EU gar nicht gebrauchen – der Premier steht unter dem Druck der Europagegner in der eigenen Partei, den regierenden Konservativen. Sie stemmen sich mit aller Macht gegen eine Machtverschiebung in Richtung der europäischen Ebene.

Zwar steht die „Politische Union“, zu der die EU unter dem Druck der Schuldenkrise eines Tages werden könnte, gar nicht auf der aktuellen politischen Agenda. Und doch schwebt der Gedanke, dass die EU-Staaten auch neue politische Strukturen für ihre Zusammenarbeit finden müssen, über der ganzen Diskussion – egal, ob sie nun in Regierungszentralen und Thinktanks in Berlin, London, Paris, Brüssel oder anderswo geführt wird. Selbst ein überzeugter Gaullist wie der französische Außenminister Alain Juppé nimmt inzwischen den Begriff des „fédéralisme“ in den Mund, wenn er die Möglichkeiten einer engeren politischen Verzahnung von EU-Ländern in bestimmten Bereichen wie der Fiskalpolitik, aber auch der Verteidigungspolitik beschreiben will. Von „fédéralisme“ reden die Franzosen immer dann, wenn es um Kompetenzverlagerungen an eine höhere politische Ebene geht.

Dass die Debatte um einen weitreichenden Umbau der europäischen Institutionen inzwischen voll entbrannt ist, zeigte sich am Wochenende beispielsweise in Paris bei einem Kongress der europäischen Umweltparteien, die eine Stärkung der „demokratischen Basis“ der EU und eine entsprechende Änderung der EU-Verträge forderten. Allerdings: Zu einer derartigen Totalrenovierung des „Hauses Europa“ dürfte es so schnell nicht kommen. Im Auswärtigen Amt in Berlin heißt es, dass die Neugestaltung der EU sinnvollerweise in zwei Phasen ablaufen müsse: Im ersten – begrenzten – Schritt müsse die Euro-Zone in eine „Stabilitätsunion“ umgewandelt werden, in der Defizitsünder künftig härter bestraft werden können. Bis spätestens Ende des kommenden Jahres, so lautet der Wunsch der Bundesregierung, soll ein EU-Verfassungskonvent entsprechende Vorschläge ausarbeiten. Erst wenn die „Stabilitätsunion“ in trockenen Tüchern und der EU-Vertrag von Lissabon entsprechend geändert ist, könne man sich an den nächsten Schritt einer „Politischen Union“ machen, heißt es im Auswärtigen Amt weiter. Anderenfalls drohe der ganze Prozess einer Änderung der EU-Verträge außer Kontrolle zu geraten.

Auch Kanzlerin Merkel möchte zunächst nur eine begrenzte Änderung des EU-Vertrages von Lissabon. Es hängt vor allem mit der in London zunehmend grassierenden EU-Skepsis zusammen, dass die Bundesregierung zunächst eine möglichst kleine Lösung bei der Vertragsänderung anstrebt, die aus Berliner Sicht möglichst von allen 27 EU-Staaten abgesegnet werden soll. Bliebe nämlich die Diskussion nicht auf den härteren Umgang mit Europas Schuldensündern begrenzt, so könnte die Vertragsreform den Briten einen Anlass liefern, die Werbetrommel für die Rückübertragung von Kompetenzen von der Brüsseler Ebene zu rühren – also das genaue Gegenteil einer „Politischen Union“, über die in Berlin und Paris schon nachgedacht wird.

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