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Nur offiziell freundlich. Nicolas Sarkozy (re.) mit Recep Tayyip Erdogan. Foto: dpa

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Politik: Der unbequeme Nachbar

Die Türken können nachlesen, was die Europäer wirklich über Beitritt denken

Wenn die Europäer die Türkei nicht in der EU haben wollten, dann sollten sie es laut und deutlich sagen, lautet einer der Standardsätze in außenpolitischen Reden des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Damit beschreibt er den wachsenden Frust in seinem Land angesichts der abweisenden Haltung von EU-Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Österreich nach fünf Jahren Beitrittsverhandlungen. Die klaren Worte, die der türkische Premier fordert, kann er nun bei Wikileaks nachlesen: US-Vertreter haben in Gesprächen mit europäischen Diplomaten den Eindruck gewonnen, dass die türkische Bewerbung hoffnungslos ist.

Die USA treten seit langem – häufig zum Ärger der Europäer – für eine türkische EU-Mitgliedschaft ein. Mit dem Beitritt Ankaras würde die Türkei noch fester im Westen verankert und zudem aller Welt zeigen, dass die Union der europäischen Demokratien kein Christenclub ist. Doch in seinen Kontakten in Europa stieß Philip Gordon, europapolitischer Abteilungsleiter im US-Außenamt, auf wenig Gegenliebe für die strategischen Visionen Washingtons.Besonders deutliche Worte sprachen die Franzosen. So sagte der Präsidentenberater Jean-David Levitte bei einem Treffen mit Gordon in Paris im September 2009, seine Regierung hoffe auf einen Verzicht der Türken von sich aus. Dass die Türkei trotz aller Widrigkeiten die Voraussetzungen für einen EU-Beitritt erfüllt, mag offiziell das Ziel der Verhandlungen sein – für die französische Regierung ist es ein Horrorszenario, wie Levitte erläuterte: Denn dann würde der türkische Beitritt in einer Volksabstimmung in Frankreich abgelehnt. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wird in den Depeschen als fast hysterischer Türkeigegner beschrieben. Aus Angst vor dem Groll ihres Chefs hätten Sarkozys Berater einmal sogar das Flugzeug des Präsidenten umgeleitet: Sarkozy sollte nicht den Eiffelturm sehen, der an diesem Abend zu Ehren eines Besuches von Erdogan in den weiß-roten Nationalfarben der Türkei sowie mit Sichel und Stern angestrahlt wurde.

Wie die Wikileaks-Berichte zeigen, gibt es aber auch ernstzunehmendere Verärgerung in Europa über die Türkei. So notierten US-Diplomaten Anfang dieses Jahres, die Europäer seien sauer darüber gewesen, dass sich die Türkei im Streit um die Wahl von Anders Fogh Rasmussen zum Nato-Generalsekretär als „islamische Stimme“ in der Allianz aufgespielt habe.

Aufgrund ihrer Kontakte mit EU-Vertretern glaubten die USA nicht mehr an einen EU-Beitritt der Türkei, so die Politologin Beril Dedeoglu in der Zeitung „Today’s Zaman“. Die Europäer wollten die Türkei als Pufferzone benutzen, um sich Probleme in Ländern wie Irak, Syrien und Iran so weit wie möglich vom Halse zu halten. Gleichzeitig aber sollten die Türken in Bereichen wie Migration und Energie eng mit Europa zusammenarbeiten. Israelische Regierungsvertreter warfen den Europäern unterdessen vor, die Türkei mit ihrer abweisenden Haltung auf einen proislamischen und antiisraelischen Kurs zu treiben.

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