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Politik: Der Visionär von gestern

George W. Bush wollte als Held des Irak-Kriegs in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen. Doch es kommt anders

Von Malte Lehming,

Washington

Der US-Präsident hat Probleme. Seine Vergangenheit holt ihn ein. Der vergangene Dienstag, als in Bagdad und Jerusalem zwei schwere Anschläge verübt wurden, war „der mit Abstand schlimmste politische Tag für George W. Bush seit dem 11. September 2001“, meint am Freitag ein Berater des Weißen Hauses in der „Washington Post“.

Im Nahen Osten tobt der Terror, daheim werden Erinnerungen wach, etwa an den 1. Mai. Spektakulär war Bush an diesem Tag auf dem Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ gelandet. Er posierte vor einer Fahne mit der Aufschrift „Mission Accomplished“ – Auftrag erledigt – und verkündete das Ende des Irak-Krieges. Ebenso selbstbewusst präsentierte sich Bush vor einem Monat im Rosengarten des Weißen Hauses. Er lobte die Fortschritte beim Wiederaufbau des Irak und die Vereitelung von Al-Qaida-Operationen. Zudem komme der Nahost-Friedensprozess „ziemlich gut voran“.

Im Lichte der aktuellen Ereignisse wirken solche Sätze teils großspurig, teils naiv. Amerika hat die Lage im Irak nicht im Griff. Das wird täglich deutlicher. Andererseits herrscht Ratlosigkeit, was zu tun ist. Mehr Truppen schicken? Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hält das für unnötig. Einige seiner Generäle dagegen halten die 139 000 US-Soldaten, die im Irak stationiert sind, für komplett überfordert. Das Militär stöhnt seit langem über die Belastungen. Knapp eine halbe Million Frauen und Männer dienen in der amerikanischen Armee. Davon sind derzeit 362 000 im Einsatz, in 120 Ländern, überall auf der Welt, von Afghanistan über Südkorea bis zum Nahen Osten. Allein die im Irak operierende Truppe zu unterhalten, kostet monatlich vier Milliarden Dollar. Innenpolitisch wäre eine Erhöhung des Kontingents höchst unpopulär.

Die Truppen internationalisieren? Dafür wäre ein neues UN-Mandat erforderlich. Außenminister Colin Powell hat seine Fühler bereits ausgestreckt, aber gleichzeitig harte Bedingungen formuliert. Weiter müsse eine „kompetente Kontrolle“ dieser großen Militäroperation gewährleistet sein, sagte er nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Kofi Annan. Mit anderen Worten: Kompetenzen im Irak wollen die USA nicht an die UN abgeben. Das jedoch fordern Länder wie Russland, Frankreich und Deutschland. Die Vorstellung, sich mit diesem Trio, das den Irak-Krieg stets abgelehnt hat, im UN-Sicherheitsrat noch einmal streiten zu müssen, jagt besonders den Falken in der US-Administration einen Schauer über den Rücken. Russland, Frankreich und Deutschland hätten gar nicht „den politischen Willen“, Truppen zu entsenden, meint ein US-Regierungsvertreter im „Wall Street Journal“. „Sie wollen dort sowieso nicht hin, deshalb legen sie die Hürden so hoch und stellen Forderungen, die niemals erfüllt werden können.“

Für Bush ist die Entwicklung misslich. Er hatte gehofft, als Held des Afghanistan- und Irak-Krieges – und als visionärer Neuordner des Nahen Ostens – in den Präsidentschaftswahlkampf gehen zu können. Der fängt bald an. Doch ist Amerika in den zwei Jahren seit dem 11. September 2001 wirklich sicherer geworden, wie Bush versprochen hatte? Dass ausgerechnet diese Frage brisant werden könnte, überrascht Bushs Wahlkampfstrategen. In deren Kalkulation sollten ein gigantisches Haushaltsdefizit und maue Wirtschaftsdaten wettgemacht werden durch Erfolge des Präsidenten in der Außenpolitik.

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