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Politik: Der Weg in die Eigenständigkeit

Bosnien wählt: Die Politiker erhalten mehr Verantwortung. Viele Bürger wünschen sich offenbar die Nationalisten

Von Gemma Pörzgen, Belgrad

Bei den Wahlen in Bosnien-Herzegowina hat sich am Wochenende ein Rückschlag für die bisherige Regierung abgezeichnet. Der Vorsitzende der regierenden Sozialdemokraten (SDP), Zlatko Lagumdzija, sagte der bosnischen Zeitung Oslobodenje, die Ergebnisse seiner Partei blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Seine multiethnische Partei hatte bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren mit neun anderen kleinen Reformparteien eine Koalitionsregierung gebildet, die erstmals die nationalistischen Parteien von der Macht verdrängte. Einige dieser Partner dürften bei dieser Abstimmung allerdings nicht mehr den Sprung ins Parlament schaffen, da eine Änderung des Wahlrechts eine Drei-Prozent-Klausel vorschreibt.

In den Parteizentralen der bosnisch-serbischen SDS und der bosnisch-kroatischen HDZ wurde am Sonntagnachmittag schon der Wahlsieg für die Nationalisten gefeiert. „Wir haben keinen Zweifel, dass wir die Wahlen auf allen Ebenen gewonnen haben“, hieß es bei der von Kriegsverbrecher Radovan Karadzic gegründeten SDS. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe war aber erst ein Teil der Stimmen ausgezählt. Regelmäßige Meinungsumfragen des US-amerikanischen „National Democratic Institute“ (NDI) hatten vorausgesagt, dass anders als bei den letzten Wahlen auch bosnische Moslems verstärkt für die nationalistische Moslem-Partei SDA stimmen würden.

Rund 2,3 Millionen Wahlberechtigte waren am Samstag aufgerufen, das Bundesparlament, die Parlamente der beiden Teilgebiete (bosnisch-kroatische Föderation und bosnische Serbenrepublik), die Präsidentschaft des Gesamtstaates, die der Serbenrepublik und die Vertretungen in den zehn Kantonen der Föderation zu wählen. 57 Parteien standen in dem komplizierten Abstimmungsprozess zur Wahl.

Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der bosnischen Wahlkommission vom Sonntag mit 54,7 Prozent deutlich niedriger als bei den letzten Wahlen im Jahr 2000. Sie spiegelt die Unzufriedenheit und Enttäuschung der Bevölkerung über die andauernde Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit und verbreitete Korruption im Land wider.

Dabei hatte der internationale Bosnien-Beauftragte in Sarajevo, Paddy Ashdown, in der Öffentlichkeit wiederholt die große Bedeutung der Wahl für die Zukunft Bosniens hervorgehoben, bei der die Politiker erstmals für eine vierjährige Legislaturperiode antreten statt wie bislang für zwei Jahre. Sieben Jahre nach Kriegende sollen die Wahlen in eine neue Phase stärkerer Selbstständigkeit überleiten, bei der die einheimischen Politiker mehr Verantwortung für ihr Land übernehmen sollen. Seit dem Friedensvertrag von Dayton Ende 1995 hatte die internationale Gemeinschaft einen Hohen Repräsentanten eingesetzt, der mit seiner Behörde das kriegszerstörte Land verwaltet und die wichtigsten politischen Entscheidungen fällt.

Die Vorsitzende der Wahlkommission, Lidija Korac, zeigte sich von der niedrigen Beteiligung vor allem in den städtischen Gebieten enttäuscht. Ihren Angaben zufolge wächst auch bei den bosnischen Flüchtlingen im Ausland die Wahlmüdigkeit. So habe sich diesmal nur noch ein Viertel der insgesamt rund 200 000 angeschriebenen Bosnier im Ausland an der Abstimmung in der Heimat beteiligt.

Die Vorsitzende der Wahlkommission lobte aber, dass die Wahlen demokratische Standards erfüllt hätten. „Ich bin sehr zufrieden mit diesen Wahlen“, sagte auch der Leiter der OSZE-Mission in Sarajevo, Robert Beecroft. Erstmals hatten die bosnischen Behörden die Wahl weitgehend selbst organisiert. Mehr als 7000 Beobachter aus dem In- und Ausland wachten über dem Wahlverlauf. Das amtliche Endergebnis der Wahlen soll erst bis zum 15. Oktober vorliegen.

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