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Politik: Der Weggang von Lothar Bisky stellt den PDS-Parteitag vor existenzielle Probleme (Kommentar)

Der erste Blick kann täuschen: Ist es nicht schon die Vollendung eines Lebenswerkes, wenn Lothar Bisky an diesem Freitag zu Beginn des PDS-Bundesparteitages in Münster seinen Genossen mitteilt, nicht erneut ihrer Partei vorstehen zu wollen?Die SED-Nachfolgepartei, nach der Wende als Übergangserscheinung fast totgeredet, hat sich behauptet.

Von Matthias Meisner

Der erste Blick kann täuschen: Ist es nicht schon die Vollendung eines Lebenswerkes, wenn Lothar Bisky an diesem Freitag zu Beginn des PDS-Bundesparteitages in Münster seinen Genossen mitteilt, nicht erneut ihrer Partei vorstehen zu wollen?

Die SED-Nachfolgepartei, nach der Wende als Übergangserscheinung fast totgeredet, hat sich behauptet. Sie sitzt in Fraktionsstärke im Bundestag, hat bei den letzten Europawahlen die Fünf-Prozent-Hürde genommen. Sie kann sich im Westen der Republik steigender Mitgliederzahlen erfreuen und stellt dort inzwischen einige Dutzend kommunale Mandatsträger. In Mecklenburg-Vorpommern regiert sie mit, in Thüringen und Sachsen ist sie zweite Kraft im Parteiensystem noch vor der SPD. Die Berührungsängste sowohl bei Christ- wie bei Sozialdemokraten nehmen ab - und längst fallen bei PDS nicht mehr nur die Stichworte Stasi und DDR. Eine Partei scheint in der Bundesrepublik angekommen zu sein - auf den ersten Blick kann sich Bisky zurücklehnen.

Auf den zweiten Blick wirft der seit 1993 amtierende Vorsitzende das Handtuch zu einem Zeitpunkt, an dem der PDS schwierigste Auseinandersetzungen bevorstehen: Gerade weil sie nicht mehr nur die Rolle der Ostalgiepartei hat, muss sie endlich dem Wähler sagen, wo sie hin will. Dieser Streit ist nicht entschieden. Die Härte der anstehenden Debatten wird allenfalls zu vergleichen sein mit der komplizierten Phase 1990, als die DDR-Staatspartei SED zur Partei des demokratischen Sozialismus mutierte.

Auch wenn nur ein kleiner Bruchteil der ehemaligen SED-Mitglieder bei der PDS geblieben ist, so sind doch auch heute noch neun von zehn PDS-Mitgliedern ehemalige SED-Genossen - und das bedeutet, an ihnen vorbei ist so gut wie nichts durchzusetzen. Die Reformer um Gregor Gysi und Lothar Bisky stellen die Führung von Fraktion und Partei, aber doch ist ihr Kurs seit einiger Zeit eigentümlich gebremst.

Seit den Wahlerfolgen des vergangenen Jahres wagen sich mehr und mehr jene aus der Deckung, die nach der Programmlage in der PDS eigentlich nichts mehr zu suchen hätten: die alten Kämpfer um Sahra Wagenknecht und Michael Benjamin, vielleicht auch um den Ehrenvorsitzenden Hans Modrow. Jene also, für die die PDS Wärmestube sein sollte, damit sie nicht in irgendwelchen Splittergruppen verkümmern. Säuberungen kommen für eine Partei mit der Vorgeschichte der PDS nicht in Frage und so war das ganze konzipiert nach dem Modell einer langjährigen Ehe, in der beide Partner sich arrangiert haben, der eine aber nichts mehr zu sagen hat. Es war nicht ausgemacht, dass sich jetzt die Vertreter von Kommunistischer Plattform und Marxistischem Forum emanzipieren. Diese Wenigen reden, theoretisieren, polemisieren - und viele ergraute Köpfe nicken dazu. Ein Arrangement gerät aus der Balance.

Bisky, der Gefühlssozialist von der Potsdamer Filmhochschule, hat immer wieder versucht, die Flügel zusammenzuführen. Mal um mal gelang es ihm, den Streit zwischen den straff organisierten Kommunisten und den Reformkräften zu schlichten. Heute, wo sich seine Amtszeit dem Ende zuneigt, brechen die Konflikte neu auf - und der Versöhnungskurs wird dem ausgleichenden Vorsitzenden angelastet. Die Hoffnungen richten sich darauf, dass ein Nachfolger mehr zuspitzt als Bisky und Entscheidungen nicht mehr nur vertagt.

Doch genau das wird nicht so einfach. Denn wer auch immer in einem Jahr der PDS vorsteht, er wird es mit der gleichen Mitgliedschaft, dem gleichen Apparat, den alten Gewohnheiten zu tun haben. Und vor allem mit dem Umstand, dass auch Gerhard Schröders SPD kaum Platz lässt für eine zweite sozialdemokratische Partei. Für einen forscheren Reformkurs, der sich auch an einem grundlegend neuen Programm festmachen lassen muss, fehlt der Partei der personelle Unterbau. Die Mitglieder aus der Mitte der PDS-Wählerschaft - junge Leute, Mittelständler, Intellektuelle - müssten das Seniorenheim PDS aufmischen und der Partei eine wirkliche Mitte geben. Sonst bleibt es bei den lähmenden Formelkompromissen der Vergangenheit.

Bisky hat sich für die PDS aufgerieben, angekämpft gegen die drohende Existenzkrise seiner Partei. Doch konnte er sein Lebenswerk nur halb vollenden. Er muss zurücktreten, weil sein Werk gar nicht vollendet werden kann: Eine PDS, die ganz nach dem Herzen Lothar Biskys wäre, die hat es schon gegeben. Es war die SPD von vor drei Jahren.

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