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Politik: Der Wille zur Vagheit

Von Tissy Bruns

Die wichtigste Botschaft, die Angela Merkel mit ihrer Rede aussandte, war der minutenlange Beifall der Delegierten am Ende. Kein mitreißender Abschluss eines schwierigen Jahres, eher passt das Wort: effizient. Vor zwölf Monaten sind die Delegierten in Leipzig Merkels forschem Reformkurs begeistert gefolgt; die Angst vor der eigenen Courage folgte ein halbes Jahr später. Sinkende Umfragewerte, problematische Wahlergebnisse, schließlich der schlimmste Fall: Hader in der Union. Der Streit zwischen CDU und CSU war vor dem Düsseldorfer Parteitag abgeräumt. Doch wusste die Parteichefin, dass sie ihren Delegierten Streicheleinheiten, und umgekehrt die Delegierten, dass sie ihrer Vorsitzenden Zustimmung schuldig waren. Das Produkt der gemeinsamen Anstrengung heißt: Geschlossenheit.

Die geht in großen Volksparteien für gewöhnlich auf Kosten der Klarheit. In Düsseldorf war es nicht anders. Weil die Sehnsucht der Delegierten greifbar war, nach diesem Jahr des Schreckens zufrieden nach Hause zu fahren, muss dieser Parteitag vor allem zwischen den Zeilen gelesen werden. Formal, mit viel Beifall, mit den Wahl und Abstimmungsergebnissen, hat sich die CDU hinter ihre reformfreudige Parteivorsitzende gestellt. Aber der Rausch von Leipzig hätte sich in Düsseldorf keinesfalls wiederholen lassen. Spürbar reserviert nahmen die Delegierten die wiederholte Aufforderung der Vorsitzenden entgegen, die CDU müsse sagen, wohin sie das Land führen wolle. Allzu genau, das hat die Union beim Gesundheitsstreit gelernt, sollte man es damit lieber nicht nehmen.

Umgekehrt wird sich erweisen, dass Merkels markige Absage an Multikulti und die 68er, dass Leitkultur und Schicksalsgemeinschaft im geschlossenen Saal dieses Parteitags lauter dröhnten, als sie im realpolitischen Alltag der CDU wirken werden. Patriotismus, das hat sich in Düsseldorf wieder einmal gezeigt, kann in Deutschland einfach niemand richtig intonieren. Auch nicht die CDU; da reicht die Leidenschaft höchstens zum schneidigen Vorwurf an das rot-grüne Lager, Deutschland angeblich die Vaterlandsliebe ausgetrieben zu haben.

Für Merkel ist dieser Parteitag ein wichtiger Etappensieg. Sie hat sich im Grundsatz mit ihrer Auffassung durchgesetzt, dass die Union Reformprofil braucht, wenn sie die nächste Bundestagswahl gewinnen will. 2004 war unschön für die Vorsitzende, aber es war weder für sie noch für ihre Partei ein verlorenes Jahr. Denn die CDU der Angela Merkel hat erkennbar Distanz gewonnen zu der von 1998, die sich zu keiner Veränderung mehr aufraffen konnte. Und Merkel hat in den letzten Wochen den wichtigen Qualifikationsnachweis für eine Kanzlerkandidatin erbracht, dass sie auch bei schwierigen Konflikten CDU und CSU einigen kann. Schließlich: Die Parteichefin mag der CDU mit ihrem Reformwillen zwei oder drei Schritte voraus sein. Aber Düsseldorf hat keinen Zweifel an der Grundmotivation der CDU gelassen. Diese Partei ist im Innersten überzeugt, dass sie dazu berufen ist, das Land zu regieren; vom Trauma der Spendenaffäre ist nichts mehr zu spüren. Diese CDU wird um die Macht kämpfen. Jeder erfahrene Wahlkämpfer aus dem rot-grünen Lager wird das mit Neid sehen. Denn die Mobilisierung der eigenen Reihen ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg.

Merkel sitzt sicher im Sattel, Kanzlerkandidatin ist sie trotzdem noch nicht. Sie steht vor der nächsten Etappe: In fünf Monaten wird in Nordrhein-Westfalen gewählt.

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