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Politik: Der Zen-Meister

Frankreichs Premier Raffarin schweigt zum neuen Haushalt – Wahlversprechen werden zu teuer

Von Sabine Heimgärtner, Paris

Den Rotstift gezückt, die Geschenktüte dennoch weit geöffnet: Frankreichs neue konservative Regierung versucht derzeit, es allen Recht zu machen und schlittert dabei offenbar in ihre erste Krise. Viele sprechen schon vom Rückwärtsgang, den die Bürgerlichen unter Premierminister Jean-Pierre Raffarin klammheimlich eingelegt hätten, andere geben den Nachfolgern der Linksregierung noch eine Chance, die Wahlversprechen jetzt zügig einzulösen. Versprochen hatten Staatspräsident Jacques Chirac und seine „Union für die Präsidentenmehrheit" (UMP) kräftige Steuersenkungen, das Anpacken der Rentenreform, die Lockerung der 35-Stunden-Woche, die Anhebung des Mindestlohns, den Umbau des mit 800 000 Beamten völlig überteuerten Staatsapparats und mehr Investitionen in die Innere Sicherheit.

Wie diese Vorhaben angesichts leerer Kassen und strenger Stabilitätskriterien in der Euro-Zone realisiert werden sollen, haben Raffarin und Chirac bisher verschwiegen.

Der neue Premier präsentierte sich bislang als Zauderer. Das wichtigste Projekt, die Vorlage des Haushaltsplans für 2003, verschob er nach den Sommerferien erst einmal auf den 25. September. Mit Appellen wie „Alles wird gut" macht er sich, jüngst als „Zen-Meister" tituliert, schon zum Gespött der Presse. Derweil vergeht kein Tag ohne Hiobsbotschaften. Die Arbeitslosigkeit ist um 0,5 Prozent gestiegen, die Konjunkturaussichten sind düster. Erstmals rückte Raffarin beim EU-Finanzministertreffen in Kopenhagen vom Wachstumsziel von drei Prozent für 2003 ab und indirekt auch davon, bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Der Überraschungseffekt: Trotz des Zahlendesasters sind Raffarin und seine Pariser Regierung offenbar entschlossen, die Wähler nicht zu enttäuschen, die Wahlversprechen einzuhalten und von ihrem angekündigten Sparkurs abzurücken. „Le Figaro" ließ als erste Zeitung durchblicken, Paris halte an den versprochenen Einkommensteuersenkungen von fünf Prozent in diesem sowie zwei Prozent im kommenden Jahr fest. Die Steuergeschenke reißen allein in diesem Jahr ein Loch von drei Milliarden Euro in die Kassen. Geplant ist nach Medienberichten deshalb für 2003 ein Haushaltsdefizit von 3,2 Prozent.

Teuer zu Buche schlägt auch das Versprechen, die drastisch gestiegene Kriminalitätsrate zu senken. Die Kassen der Ministerien Inneres (plus zwei Prozent), Justiz (plus 7,4 Prozent) und Verteidigung (plus sechs Prozent) werden kräftig aufgestockt, zu Lasten der Etats für Kultur und Forschung.

Zuckerbrot und Peitsche lautet also das Rezept. Nicht nur höhere Tabaksteuern und Benzinpreise kommen auf die Franzosen zu. Bis zu 3000 Lehrerstellen will die Regierung streichen, in manchen Großstädten sollen ganze Schulen geschlossen werden. „Wir machen nicht mit, Streik", verkünden seit Wochenanfang von Lehrern und Eltern unterzeichnete Plakate. Proteste drohen auch von Arbeitern und Angestellten, die die geplante Lockerung der 35-Stunden-Woche nicht hinnehmen wollen.

Viel hängt nun davon ab, ob die Franzosen ihrer neuen Regierung Zeit geben oder gleich zu ihrem beliebtesten Protestmittel greifen: dem Generalstreik. Die Gewerkschaften sagen jetzt schon einen heißen Herbst voraus.

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