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© dpa

Desertec & Nabucco: Besser als jeder Militärpakt

Zu teuer und geostrategisch brisant: Gegen die am Montag initiierten Energieprojekte Desertec und Nabucco kommen vor allem Bedenken aus der SPD.

Was ist Energiesicherheit? Immanuel Kant würde heute vielleicht so antworten: „Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Abhängigkeit von einem Lieferanten.“ In diese neue Richtung hat Europa Anfang der Woche zwei große, mutige Schritte getan. Der erste Sprung ist das Sonnenstrom-Konsortium Desertec, ein atemberaubendes Projekt, vereinbart von zwölf europäischen und algerischen Unternehmen mit offener Einladung an andere. Desertec soll die Kraft der Sonne in der nordafrikanischen Wüste einfangen, die gewonnene Energie ins regenreiche Europa transportieren und dort ins Stromnetz einspeisen.

Der zweite große Sprung ist die Gaspipeline Nabucco, eine 3300 Kilometer lange Röhre, die Gas aus dem Nahen Osten nach Europa bringen soll. Auf sie einigten sich in einem Regierungsabkommen vier EU-Länder und der EU-Kandidat Türkei am Montag in Ankara.

Der Optimismus der Betreiber hat Gründe: Beide Projekte würden die europäischen Emissionen in die belastete Atmosphäre senken, sie würden neue Ressourcen erschließen und alte Abhängigkeiten lockern. Doch auch Pessimisten melden sich zu Wort: Beide Zukunftsprojekte seien schwindelerregend teuer, mit vielen Spielern und reichlich Risiken belastet. In Deutschland kommen die Warner vor allem aus der SPD. Wer hat Recht?

SPD-Solarspezialist Scheer hält Desertec für eine "Fata Morgana"

Vor der Sonnenstrom-Euphorie warnt ausgerechnet der Solarspezialist der Sozialdemokraten Hermann Scheer. Er hält Desertec für eine gewaltige „Fata Morgana“ und glaubt, das Projekt sei viel zu teuer. Die beteiligten Konzerne rechneten die Kosten runter. Scheer plädiert dafür, das Geld lieber in erneuerbare Energien in Europa zu stecken. Was ist da dran?

Scheer hat Recht, wenn er warnt, dass am Ende alles teurer wird als gedacht. Aber das gilt grundsätzlich, nicht nur bei Desertec. Die Großkonzerne von E.on bis zur Deutschen Bank wollen zunächst nur 1,8 Millionen Euro im Jahr investieren, um bis 2012 festzustellen, ob der kühne Plan eine reale Zukunftschance hat. Ausgelotet werden soll, welche Länder sich daran beteiligen wollen, welche europäischen Konzerne noch einsteigen, welche Anteile an der produzierten Energie in den Erzeugerländern in Afrika bleiben kann und muss, was technisch machbar ist. Erst wenn diese grundsätzlichen Fragen geklärt sind, geht es weiter. Planung und Bau von Desertec dürften sich noch Jahrzehnte hinziehen. Fürs Warnen ist es eigentlich viel zu früh. Fürs Träumen nicht: Wenn Desertec klappt, wird es Nordafrika und Europa für den Rest des Jahrhunderts mit emissionsfreier Energie versorgen.

Trotz der vielen Teilnehmer Eingung bei der Nabucco-Pipeline

Bei der Nabucco-Pipeline ist nun doch genau das passiert, wovor uns Gerhard Schröder immer gewarnt hat. Mehrere europäische Länder vereinbaren einfach eine Erdgasleitung, an der Europas wesentlicher Gasgeber Russland nicht beteiligt ist. „Warum so unvernünftig?“, wird man bei Schröders Arbeitgeber Gasprom in Moskau fragen. Der Ex-Kanzler brachte stets drei Argumente gegen Nabucco ins Spiel: Zu viele Beteiligte, zu wenige Zulieferer, und schließlich: mit dem Gasland Iran kann man keine Deals machen. Wieso haben die Nabucco-Konzerne und -Länder sich dennoch geeinigt?

Der Clou am Pipeline-Coup von Ankara an diesem Montag ist nämlich, dass die Stärke des Projekts in der Einigkeit der vielen Spieler liegt. Das war schwer genug. Aber die gemeinsamen Interessen an der Leitung wogen schwerer. Die Österreicher wollen das Gas und sind der Projektführer, die Ungarn, Bulgaren und Rumänen möchten ihr Erdgas endlich nicht mehr nur aus Russland beziehen. Die Türken haben die wichtige Rolle des zentralen Transitlandes. Und schließlich gesellten sich die Deutschen mit RWE und dem Energieberater Joschka Fischer (!) dazu, was hoffen lässt, dass Nabucco-Gas am Ende auch in Deutschland ankommen wird.

Iran, da hat Schröder Recht, ist ein unsicherer Kandidat. Das Land der Uranzentrifugen und Milizenknüppel gegen Oppositionelle ist international isoliert und ein unsicherer Lieferant. Aber wer sagt denn, dass das immer so bleiben muss? Seit diesem Sommer des Dreinschlagens steht das Regime wackliger da als je zuvor. Wer weiß, wer in Teheran regiert, wenn Nabucco in fünf Jahren fertig wäre.

Ohne Iran bieten sich heute schon Aserbajdschan und der Irak als Lieferanten an. Das dürfte allein schon reichen. Im Irak wird derzeit bei jeder Ölbohrung ein neues Gasfeld entdeckt. Das Land dürfte in den nächsten zehn Jahren zu einem der größten Gasexporteure des Nahen Ostens werden. Ein Abkommen zwischen der Bundesregierung in Bagdad und der Regionalverwaltung in Irakisch-Kurdistan hat dafür den Weg planiert. Nabucco ist eine Antwort auf die absehbaren Transportprobleme Richtung Europa.

Es geht um mehr als nur um Energie

Die größte Gefahr für Nabucco bleibt eigentlich Gasprom. Der Konkurrent aus dem hohen Norden könnte weiter versuchen, Länder aus dem Konsortium herauszulocken, vorhandene Infrastruktur wegzukaufen, potenzielle Lieferländer abzuwerben. Wenn man sich in Moskau beruhigen würde, dass Nabucco kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zu russischen Röhren ist, wäre das Leben für alle leichter.

Unterm Strich also stehen die Warner aus der Sozialdemokratie ziemlich sauertöpfisch da. Denn es geht bei Nabucco und Desertec am Ende um mehr als nur um Energie. Europas Unabhängigkeit steht auf dem Spiel, wenn es nicht gelingt, in den nächsten zwanzig Jahren ergänzende Quellen zu den traditionellen Lieferanten zu erschließen. Das globale Klima würde weiter gefährdet, wenn statt Desertec doch Kohlekraftwerke gebaut würden.

Und am Ende geht es auch um politische Sicherheit. Kein Militärpakt kann die EU besser in seiner Nachbarschaft absichern als diese gewaltigen Energieprojekte, von denen Europäer und ihre Nachbarn gleichermaßen profitieren.

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Thumann[Istanbul]

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