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© dpa

Designierte Ministerpräsidentin: Christine Lieberknecht: Protestantische Frauenpower

Christine Lieberknecht soll Ministerpräsidentin in Thüringen werden – und irritiert im Vorfeld mit freimütigen Bekenntnissen.

Von Matthias Schlegel

Gehen wir einmal davon aus, dass Leute ohne Ecken und Kanten langweilig sind. Dass gerade die inneren Widersprüche, zumal offen bekannt, einen Menschen interessant machen. So gesehen, ist Christine Lieberknecht eine interessante Persönlichkeit, denn bei ihr, der designierten Ministerpräsidentin von Thüringen, gibt es einige davon.

Sie habe das Ministerpräsidentenamt nie gewollt, sagt sie. Aber am 30. Oktober wird sie es wohl dennoch antreten, sofern am Sonntag Landesparteitage von CDU und SPD den ausgehandelten Koalitionsvertrag billigen. Sie habe sich in die Pflicht nehmen lassen, sagt sie. Und tut damit ihre eigene Lesart der turbulenten Tage und Wochen nach dem Rücktritt von Dieter Althaus kund, als die vereinte ministerielle Frauenpower von Finanzressortchefin Birgit Diezel und Sozialressortchefin Christine Lieberknecht die Machtverhältnisse in der Thüringer CDU entschied.

Oder: Sie stehe für einen neuen Politikstil der CDU, sagt sie. Und das ist die ziemlich unverblümte Absage an das „System Althaus“ mit personellen Kungeleien, Küchenkabinett und katholisch dominiertem Beraterkreis. Lieberknecht selbst hat heftig gelitten unter dem Prinzip Konspiration im kleinsten Kreis, das die Ära ihres Vorgängers kennzeichnete. Da hätte man eine nachhaltige, tief verwurzelte Abneigung gegen den Abgedankten vermutet. Aber nun berichtet die 51-Jährige ganz ungeniert, dass sie während der Koalitionsverhandlungen im engen Kontakt zu Althaus gestanden, sich bei ihm Rat geholt habe. Und sie wünscht, dass er auch in Zukunft mit seinen Fähigkeiten und seinen Erfahrungen weiter Politik gestalte.

Noch ein Beispiel gefällig? Als Pastorin in Ramsla bei Weimar und Mitglied der Ost-CDU seit 1981 war Christine Lieberknecht zu DDR-Zeiten schon bald an die Grenzen politischer Gestaltungsmöglichkeiten gestoßen. Mit drei Thüringer Mitstreitern aus dem kirchlichen Raum schrieb sie im Spätsommer 1989 an die Führungsspitze der damaligen Götting- CDU einen Brief, der die Partei aus ihrem blockparteilichen Schlaf rütteln sollte. In der DDR-CDU löste sie damit den Umbruch aus, in dessen Verlauf Lothar de Maizière zum Parteichef gewählt wurde – der wiederum vom Wahlvolk ein paar Monate später zum letzten DDR-Ministerpräsidenten und Abwickler des Staates bestimmt werden sollte. Zwanzig Jahre danach bekennt Christine Lieberknecht nun, trotz Mauer und Stacheldraht seien ihre Jahre als Pastorin in der DDR die freiesten überhaupt gewesen. So viel Freiheit habe sie nie wieder gehabt.

So spricht die Frau, die sich anschickt, erste Ministerpräsidentin in der CDU-Geschichte zu werden. Doch man täte ihr Unrecht, würde man ihr solche Äußerungen als Unbedarftheit oder gar Unschicklichkeit anlasten. Im Gegenteil, sie kennzeichnen die evangelische Theologin, die fast auf den Tag genau vor 25 Jahren als Pfarrerin ordiniert wurde, mehr als die dürren Fakten ihres Lebenslaufes es vermögen: Als ehrliche Haut, die nicht geziemende politische Korrektheit zum Maßstab ihrer Äußerungen macht, sondern sich von der inneren Freiheit ihrer Ansichten leiten lässt. Machtinstinkt ist solcherart unverstelltem Wesen durchaus nicht fremd. Aber es ist ein Instinkt, der geduldig ist. Und einer, der nicht vordergründig einem selbstsüchtigen Herrschaftskalkül entspringt, sondern der die Chance dann ergreift, wenn die Situation es auch im höheren Interesse gebietet. Sie handelt nicht nur vordergründig um ihres eigenen Vorteils willen, sondern durchaus aus innerer Überzeugung.

Als 1992 der damalige Thüringer Ministerpräsident Josef Duchac in die Schlagzeilen geriet, weil er als Mitglied einer Art Laienspielgruppe auch im Dunstkreis der Stasi seine Humoresken zur Aufführung brachte, erkannte die damalige Kultusministerin den Schaden, den die CDU dadurch erleiden könnte. Sie trat aus Protest gegen Duchac zurück und erhöhte auf diese Weise den Druck auf den Ministerpräsidenten, so dass dessen Amtsverzicht unumgänglich wurde. Manche vermuteten damals, Lieberknecht würde selbst nach dem höchsten Regierungsamt greifen wollen. Doch es kam Bernhard Vogel und mit ihm die erfolgreichste Periode der thüringischen Regierungszeit.

Die Königsmörderin zog wieder als Bundes- und Europaministerin ins Kabinett ein, wurde 1994 erneut Ministerin für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei, ehe sie 1999 für fünf Jahre zur Landtagspräsidentin gewählt wurde. Nach der Wahl 2004, Althaus hatte unterdessen die Regierungsgeschäfte von Bernhard Vogel übernommen, führte Lieberknecht die Fraktion und hielt dem als blass geltenden neuen Ministerpräsidenten den Rücken frei. 2008 trat sie erneut als Ministerin ins Kabinett ein, zuständig für das Sozialressort.

Als dienstältestes Kabinettsmitglied hat sich Lieberknecht in die Unausweichlichkeit der Althaus-Nachfolge hineinmanövriert durch ihre Konsensfähigkeit. Die Bereitschaft zu kommunizieren auch über parteipolitische Gräben hinweg hat sie schon in der Althaus-Ära zur Alternativkandidatin werden lassen – als die sie umso geeigneter erschien, je unfähiger sich Althaus darin zeigte. Klug hielt sich Lieberknecht nach Althaus’ Skiunfall und dem Gerichtsurteil gegen ihn sowohl mit allzu klotzigen Solidarisierungen als auch mit Profilierungsversuchen zurück, zumal Vize-Regierungschefin Diezel zunächst das offizielle Gesicht der Landesregierung wurde. Lieberknechts Zeit kam, als Diezel mit der Ehre des Amtes der Landtagspräsidentin belohnt wurde.

Lieberknecht macht keinen Hehl daraus, dass sie mit SPD-Chef Christoph Matschie gut kann, dass sie die Herkunft aus einer Pfarrersfamilie und die protestantische Grundhaltung verbinden. Auch dass er die CDU gegen den Widerstand in seiner eigenen Partei vor dem Versinken in der Opposition gerettet hat, wird sie dem Sozialdemokraten nicht so schnell vergessen. Zunächst aber wird sie ihre ganze Überzeugungskunst brauchen, um ihrer eigenen Parteibasis am Sonntag die enormen Zugeständnisse an den Koalitionspartner als Erfolg zu verkaufen. Schließlich will sie auch zur CDU-Landeschefin gewählt werden.

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