zum Hauptinhalt

Despot weiter auf der Flucht: Rebellen kritisieren Algerien wegen Aufnahme von Gaddafi-Familie

Die Rebellen verlangen die Auslieferung der Angehörigen Muammar Gaddafis. Westliche Staaten wollen am Donnerstag auf einer Libyen-Konferenz über die Versorgungsengpässe im Krisengebiet beraten.

Die libyschen Rebellen haben Algerien wegen der Aufnahme eines Teils der Familie des langjährigen Machthabers Muammar el Gaddafi kritisiert. Dies sei ein Akt, den die Rebellen nicht nachvollziehen könnten, sagte Rebellensprecher Mahmud Schammam am Montagabend (Ortszeit) in Tripolis. Den Angehörigen Gaddafis Unterschlupf zu gewähren sei ein Akt der Aggression. Die libyschen Rebellen forderten umgehend ihre Auslieferung.

Algerien ist das einzige der Nachbarländer Libyens, das den Rebellenrat noch nicht als legitime Vertretung des libyschen Volkes anerkannt hat. Wo Gaddafi selbst sich aufhält, ist nach wie vor unklar.

Algerien habe Gaddafis Familie offenbar die Ausreise in ein Drittland angeboten und erklärt, die Gaddafi-Verwandten aus humanitären Gründen aufgenommen zu haben, sagte Schammam. Die Rebellen wollten Gaddafis Familie und den früheren Machthaber selbst dagegen festnehmen und in einem fairen Prozess vor Gericht stellen: „Wir wollen, dass diese Personen zurückkommen.“ Das algerische Außenministerium hatte am Montag mitgeteilt, Gaddafis Ehefrau Safia, seine Tochter Aischa sowie die Söhne Hannibal und Mohammed seien gemeinsam mit deren Kindern am Morgen nach Algerien eingereist.

Ein dritter Sohn, Chamis Gaddafi, soll nach Rebellenangaben südlich von Tripolis getötet worden sein. Der 28-Jährige Führer einer berüchtigten Elitetruppe sei „wahrscheinlich während eines Kampfes“ nahe Tarhuna rund 80 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis getötet worden, sagte der Justizminister des Nationalen Übergangsrats, Mohamed Allegi, unter Berufung auf einen Anführer der Aufständischen. Rebellensprecher Schammam bekräftigte den Bericht. Ein Rebellenführer habe ihm berichtet, dass Chamis zwischen Tarhuna und Sliten getötet worden sei. Chamis Gaddafi galt als Hardliner. Sein Tod war seit Beginn der Revolte gegen Gaddafi mehrfach vermeldet worden, hatte sich bisher aber nicht bestätigt. Chamis Gaddafi führte zuletzt eine nach ihm benannte Armeebrigade, die mit Massenmorden in Verbindung gebracht wird.

Der Aufenthaltsort von Gaddafi selbst ist weiter unbekannt. Die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete unter Berufung auf „glaubwürdige libysche Diplomaten“, er halte sich mit seinen Söhnen Saadi und Seif el Islam hundert Kilometer südöstlich von Tripolis in Bani Walid auf. Das Weiße Haus erklärte, es gebe keine Hinweise darauf, dass der langjährige Machthaber Libyen verlassen habe. Die Rebellen haben umgerechnet 1,2 Millionen Euro auf Gaddafi ausgesetzt - tot oder lebendig.

Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, Gaddafi halte sich in seinem Heimatort Sirte 360 Kilometer östlich von Tripolis auf. Die Rebellen stehen seit dem Wochenende westlich nur noch 30 Kilometer vor der Stadt. Am Montag rückten sie von Osten aus bis auf 70 Kilometer nach Sirte vor, wie ein Rebellenkommandeur der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die Rebellen versuchen nach eigenen Angaben, die Anhänger Gaddafis zur friedlichen Übergabe der Küstenstadt zu bewegen. Nach wie vor leisten Gaddafi-Getreue erbitterten Widerstand. Nach Angaben der Rebellen starteten Anhänger Gaddafis eine Angstkampagne, die Einwohner Sirtes erwarte ein Blutbad. “Die versuchen den Leuten weiszumachen, dass sie jetzt nicht mehr für Gaddafi, sondern um ihr Leben kämpfen müssen“, sagte der Beauftragte für Sirte des Rebellenrates, Hassan Droi. Ein anderer Rebellensprecher, Mohammad Sawawi, sagte, man habe über Satelliten-Telefon mit Aufständischen in Sirte Kontakt aufgenommen. Diese sollten die Botschaft verbreiten, dass niemand getötet werde. “Wir gehen langsam voran“, sagte Sawawi. Den Verhandlungen über eine Kapitulation müsse Zeit gegeben werden. Ein Befehlshaber der Rebellen im Osten sagte, seine Einheiten stünden rund 100 Kilometer östlich von Sirte. Einem Kommandeur in der westlich von Sirte gelegenen Stadt Misrata zufolge befinden sich Rebellenverbände 30 Kilometer von der Stadt entfernt. Die Nato hatte zuletzt am Sonntag den Vormarsch mit Luftangriffen in Sirte unterstützt.

Gaddafi baute das ursprünglich verschlafene Fischerdorf zu einem bedeutenden Machtzentrum mit rund 100.000 Einwohnern aus. Er dürfte dort auch jetzt über große Unterstützung verfügen. Es ist die Heimat des Stammes der Gaddafa, zu denen Gaddafi gehört. Nach Angaben der Rebellen sind in Stadt 45 Soldaten und Offiziere erschossen worden, weil sie nicht für eine aussichtslose Sache kämpfen wollten. Es war zunächst nicht möglich, diese Angaben zu überprüfen.

Menschenrechtsorganisationen berichteten von Massenmorden an Gaddafi-Gegnern. In einem abgebrannten Lagerhaus wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) die Reste von 45 Leichen gefunden. Das Lagerhaus war als Gefangenen-Lager benutzt worden. Verantwortlich für das Massaker ist möglicherweise die Chamis-Brigade, die ihren Namen nach einem der Söhne Gaddafis trägt. Dies sei leider nicht der einzige Hinweis auf Exekutionen Gefangener in den Tagen vor der Einnahme von Tripolis, sagte Sarah Leah Witson von der HRW. Ein Sprecher der Rebellen erklärte, rund 40.000 festgenommene Menschen würden noch vermisst. Bereits früher gab es Hinweise, dass auch Rebellen Wehrlose erschossen haben. Der Rebellenrat schickte eine SMS-Botschaft an die eigenen Kämpfer, Gefangene zu schonen.

Westliche Staaten wollen angesichts der teils dramatischen Versorgungsengpässe beraten, wie den Rebellen geholfen werden kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel reist dazu am Donnerstag nach Paris zur Libyen-Konferenz.

Bei der Unterstützer-Konferenz in Paris sollen Vertreter libyschen Übergangsrates ihre Pläne für die Zukunft und den Bedarf an Hilfen aus dem Ausland darlegen. Allen sei klar, dass man schnell handeln müsse, damit die Libyer den Unterschied zwischen dem alten und neuen Regime spürten, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert. Das Pariser Treffen sei aber keine Geberkonferenz. Es werde dort nicht um konkrete finanzielle Zusagen gehen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums ergänzte, derzeit stelle sich nicht die Frage, ob die Bundeswehr beim Wiederaufbau Libyens eingesetzt werden solle.

Die italienische Ölfirma ENI erneuerte unterdessen ihre geschäftlichen Beziehungen zu Libyen. Mit dem Rebellenrat vereinbarte der Konzern eine rasche Wiederaufnahme der Förderung und Verwertung von Öl und Gas. ENI war vor der Rebellion der führende ausländische Energiekonzern in Libyen. (AFP/rtr)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false