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Hauptsache Wirtschaft: Der chinesische Regierungschef Wen Jiabao hat bei seiner Europa-Reise die Autoindustrie fest im Blick. Umgekehrt profitieren auch die deutschen Unternehmen von der starken Nachfrage in China.

© dpa

Deutsch-Chinesische Regierungskonsultationen: Pekings Wirtschaftsmacht erschwert den politischen Dialog

Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao kommt nach Berlin und will vor allem über Wirtschaft reden. Aber auch da gibt es Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und China.

Gerade einmal vier Tage nach der Freilassung des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei haben Chinas Sicherheitsbehörden einen weiteren prominenten Bürgerrechtler auf freien Fuß gesetzt. Nach dreieinhalb Jahren Haft wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ konnte Hu Jia, der die Korruption in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) angeprangert und sich für HIV-Infizierte in China eingesetzt hatte, nach Hause zurückkehren. Auf den ersten Blick könnte man fast meinen, dass die chinesische Führung rechtzeitig zu den ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin ihre Gefängnistore öffnen wolle. Schon die überraschende Freilassung Ai Weiweis nährte den Verdacht, man wolle Chinas Ministerpräsidenten Wen Jiabao seine mehrtägige Europareise erleichtern, die Kritik an der Menschenrechtslage in der Volksrepublik abmildern. Doch wie viel Kalkül tatsächlich hinter den Maßnahmen der Regierung steckt, bleibt unklar. Dass Hu Jia gerade jetzt wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, ist wohl kein taktisches Manöver: Die Haftzeit des 37-jährigen war schlicht abgelaufen.

Dennoch könnte Wen Jiabao versuchen, die beiden aktuellen Fälle als positive Entwicklung in Sachen Menschenrechte zu verkaufen. Diese sollen laut der Bundesregierung bei den an diesem Montag beginnenden Regierungskonsultationen ein zentrales Thema sein. Denn die Einhaltung der Menschenrechte in China bleibt auch weiterhin der kritischste Punkt in den Beziehungen beider Länder. Besonders das Schicksal Ai Weiweis steht im Mittelpunkt des deutschen Interesses. Die vorläufige Freilassung des Gegenwartskünstlers hat daran nicht viel geändert. Seine Zukunft ist weiterhin ungewiss, er darf Peking nicht verlassen. Noch immer drohen ihm ein intransparentes Verfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung und eine langjährige Haftstrafe.

Schon Mitte Mai hatte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung in Peking kein Blatt vor den Mund genommen. „Die Inhaftierung Ai Weiweis ist eine Belastung für die deutsch-chinesischen Beziehungen“, erklärte Markus Löning (FDP) bei einem Besuch in Chinas Hauptstadt. Von chinesischer Seite erntete Löning damals hauptsächlich Unverständnis für das deutsche Interesse an Ai Weiwei. Dabei hat die Bundesregierung mehrfach deutlich gemacht, dass es ihr nicht allein um das Schicksal Ai Weiweis geht, sondern um die Menschenrechtssituation im Allgemeinen. An dem Unverständnis über die deutsche Einmischung wird sich bis heute nichts geändert haben. Dass gar der deutsche Protest Einfluss auf die Freilassung gehabt haben könnte, ist daher unwahrscheinlich. Allzu scharf ist die deutsche Kritik in den letzten Monaten ohnehin nicht ausgefallen. Denn nach außen betonen Regierungsvertreter beider Seiten gerne die Kontinuität und Qualität der deutsch-chinesischen Beziehungen. Dafür werden heikle Themen zur Not auch ausgeklammert.

Dabei müssen deutsche Politiker immer häufiger feststellen, dass die Führung in Peking mit einem neuen Selbstbewusstsein in politischen Gesprächen agiert, manch einer interpretiert dieses gar als Arroganz. Die wachsende ökonomische Potenz der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt erschwert den Dialog und den eh schon geringen Einfluss ausländischer Staaten auf China. Eine der schmerzlichsten Erfahrungen dieser Art musste Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei seiner letzten Chinareise Ende März machen. Erst kam es zum Eklat um den Sinologen Tilman Spengler, dem, obwohl er als Mitglied der Delegation des Außenministers nach Peking fliegen sollte, die Einreise verweigert wurde. Chinas Mächtige erklärten Spengler zur unerwünschten Person, nachdem dieser 2010 bei der Verleihung der Hermann-Kesten-Medaille eine Laudatio auf den inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo gehalten hatte. Guido Westerwelle, der eigens angereist war, um die deutsche Ausstellung zur „Kunst der Aufklärung“ im Pekinger Nationalmuseum zu eröffnen, blieb nichts anderes übrig, als diesen Affront hinzunehmen. Und kaum war der deutsche Außenminister abgereist, ließen Chinas Sicherheitsbehörden Ai Weiwei verhaften. Damit geriet nicht nur das gemeinsame Ausstellungsprojekt in die Kritik, sondern der deutsch-chinesische Kulturaustausch insgesamt. Schlechte Voraussetzungen für das 2012 geplante „chinesische Kulturjahr“ in Deutschland.

Sind die ökonomischen Beziehungen ähnlich konfliktträchtig wie die politischen? Lesen Sie mehr dazu auf der nächsten Seite.

Dagegen ist wenig überraschend, dass es in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China die größte Übereinstimmung gibt. Innerhalb der EU ist Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner. Und die Volksrepublik gilt deutschen Unternehmen als bedeutender Absatzmarkt und Investitionsstandort. Besonders die Autoindustrie profitiert von einer starken Nachfrage nach deutschen Fahrzeugen. Rund 130 Milliarden Euro betrug das Handelsvolumen beider Länder 2010.

Ganz frei von Unstimmigkeiten sind aber auch die Wirtschaftsbeziehungen nicht. So weigert sich die Europäische Union und mit ihr die deutsche Regierung weiterhin, der Volksrepublik den Status einer Marktwirtschaft zuzusprechen. Und deutsche Unternehmen beschweren sich regelmäßig über einen erschwerten Zugang zum chinesischen Markt. Dennoch sind die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen traditionell gut – scheinbar völlig unabhängig von der politischen Partnerschaft. Daran hat nicht zuletzt die Mehrheit der deutschen Wirtschaftsvertreter einen Anteil, die anhaltende Menschenrechtsverletzungen China mit stoischer Gelassenheit kritiklos hinnimmt – aus Angst, den mächtigen Wirtschaftspartner China zu verärgern. Das Schweigen der deutschen Unternehmen zur Verhaftung Ai Weiweis ist in diesem Zusammenhang ein eindrucksvolles Beispiel. Den früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel bewegte ein derart apathisches Verhalten gar zu einer öffentlichen Schelte deutscher Firmen. In einem Gespräch mit der dpa Ende Mai hatte sich Henkel enttäuscht gezeigt, dass sich nur wenige deutsche Unternehmen dem von ihm mitinitiierten Berliner Appell zur Freilassung Ai Weiweis angeschlossen hatten. Dabei hätten einige Manager nicht nur die Unterschrift verweigert, sondern gar argumentiert, dass China keine Demokratie brauche.

Einen derartigen Zynismus kann sich die Bundesregierung im Umgang mit China nicht leisten, misst die Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Einhaltung der Menschenrechte doch weltweit große Bedeutung bei. So wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Zusammentreffen mit Chinas Ministerpräsidenten in Berlin das Thema Menschenrechte ansprechen müssen. Und sie wird der deutschen Öffentlichkeit glaubhaft vermitteln müssen, dass sie sich dabei nicht nur routinemäßig vorgetragener Floskeln bedient. Ihre chinesischen Gäste wird sie damit allerdings nicht beeindrucken können. Diese sind für Kritik von außen derzeit wenig empfänglich.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sieht in der wachsenden Rolle Chinas eine "Herausforderung für die deutsche Wirtschaft". Sie sei für den Wettbewerb mit China aber "gut gewappnet", sagte Rösler der "Bild"-Zeitung (Montagsausgabe). "China bedeutet für uns ein Mehr an Chancen, wenn wir wie bisher unsere Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation, Flexibilität und Kundennähe sichern", sagte Rösler vor einem Besuch von Chinas Regierungschef Wen Jiabao in Berlin. Kostenvorteile habe China im Bereich der "eher einfachen Produkte". "Deshalb liegen unsere Chancen vor allem in innovativen und technologieintensiven Gütern und Dienstleistungen."

Am Montagabend wird Wen an der Spitze einer großen Wirtschaftsdelegation zu den ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin erwartet. Angela Merkel (CDU) will zum Auftakt ein Abendessen für den Gast geben. Bei den zweitägigen Gesprächen will Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) nach eigenen Angaben auch die Menschenrechte ansprechen.

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