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Der niederländische Außenminister Frans Timmermans sagt: "Europa kann scheitern, wenn wir nur über die Krisen reden."

© dapd

Deutsch-Niederländisches Forum: Eine Hommage an Europa

Beim Deutsch-Niederländischen Forum in Berlin erklärte der niederländische Außenminister Frans Timmermans seine Liebe zu Europa und forderte: "Wir müssen unsere Unterschiede mehr feiern." Doch gleichzeitig warnte er vor der gegenwärtigen Nord-Süd-Diskussion.

„Mein Herz schlägt für dich, Europa…“, singt Xavier Naidoo und es ist wohl das erste Mal, dass ein Außenminister seine Grundsatzrede mit einem Videoclip beginnt. Der neue niederländische Außenminister Frans Timmermans, Sozialdemokrat und begeisterter Europäer, hat dem eigentlich nichts hinzuzufügen. „Wir können nur verlieren, wenn Europa zerbricht“, singt Naidoo und weiter: „Ich verstehe deine Fürsten nicht.“

Das sei das Europa seiner Kinder, 23 und 26 Jahre alt, sagte Timmermans zur Eröffnung des 12. Deutsch-Niederländischen Forums im Weltsaal des Außenministeriums in Berlin. „Für meine Kinder ist Europa selbstverständlich, sie fühlen sich überall zu Hause und sie sprechen überall mit jedem das gleiche schlechte Englisch und sie sind glücklich. Meine Großeltern hätten das nicht geglaubt.“

Die Selbstverständlichkeit sei schön und gefährlich zugleich, denn nichts ist mehr sicher. Die schlimmste Krise sei die der Identität. „Wer sind wir?“ Vor dem Hintergrund der etwas chaotisch verlaufenen Politik in den Niederlanden während der letzten zehn Jahre sagte Timmermans: „Wir sind die globalisierteste Bevölkerung der Welt. Wir erleben, was Globalisierung bedeutet. Und es gibt zunehmend Schichten in unserer Bevölkerung, die das positive Gefühl über Europa nicht teilen, weil sie Angst um ihre Arbeit und ihre kulturelle Identität haben. Europa ist für diese Schichten eine Waschmaschine, in der alles bei 90 Grad gewaschen wird und am Ende kommt alles in einer braunen Farbe heraus.“ Europa habe in den letzten Jahren zu viel versprochen und zu wenig gebracht. Auch in den europäischen Gesellschaften stehe die Solidarität unter Druck. „Die Reform der sozialen Marktwirtschaft in unseren Ländern ist auch gut für Europa. Wenn wir es national nicht schaffen, misslingt es auch in Europa. Es gibt keinen Widerspruch zwischen national und europäisch“, sagte Timmermans.

Zu der Verszeile „Eure Fürsten versteh ich nicht…“ sagte Timmermans: „Die Wahlen in den Niederlanden haben gezeigt, dass die Niederländer nicht antieuropäisch sind. Sie waren aber von den Institutionen und den Politikern enttäuscht“. Viele Niederländer glaubten, dass die Politiker nur für Brüssel arbeiteten. Sie erlebten Europa als ein Instrument der Unsicherheit, das Arbeitsplätze bedrohe.

„Wir brauchen daher ein neues Verständnis für Europa, eine neue soziale Marktwirtschaft für die Bürger und wir müssen unsere Unterschiede mehr feiern. Wer den Unterschied feiert, lernt sich selber besser kennen“, sagte Timmermans. Das sei die beste Antwort auf die aufkommenden Nationalismen. „Wir müssen öfter stolz auf unser Europa sein, dann können wir es auch verbessern. Europa kann scheitern, wenn wir nur über die Krisen reden.“ Europa sei mehr als ein Instrument, die gemeinsame Wirtschaft reiche nicht aus, mehr Begeisterung und Leidenschaft sei nötig für Europa.

Europa als beispiellose Wertegemeinschaft

In der anschließenden Diskussion mit deutschen und niederländischen Stipendiaten der Schwarzkopf-Stiftung und Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte Timmermans gefordert, dass die nationale Politik mehr Verantwortung für Europa zeigen müsse. National kristallisiere sich Politik und dort müsse für Europa geworben werden. „Parlamente müssen ihre Macht in Europa deutlich zeigen. Man darf auf nationaler Ebene nicht aufgeben. Nationale Politik müsse europäische Verantwortung übernehmen und nicht immer nur die Schuld Europa geben. Alles andere bleibt ein schöner Traum.“  Zur Frage nach der europäischen Öffentlichkeit sagte Timmermans, dass es diese in zehn Jahren auch noch nicht geben werde und die Forderungen des Europäischen Parlaments nach einem sieben Prozent höheren Haushalt zeigten nur, wie weit dieses sich in seinem Paralleluniversum von den Bürgern entfernt hätte.

Das Paralleluniversum wollte Westewelle dann nicht unwidersprochen stehen lassen. Er regte an, bei der Europawahl 2014 die Spitzenkandidaten der europäischen Parteifamilien in allen 27 Ländern im Wahlkampf antreten zu lassen.

Zuvor hatte Bundesaußenminister Guido Westerwelle auf dem Deutsch-Niederländischen Forum zum Thema „Die Zukunft Europas und unsere Zukunft in Europa“ daran erinnert, dass Europa von Anfang an ein Projekt unter Gleichen gewesen sei, drei große und drei kleine Länder gehörten zu den Gründernationen, das müssten sich die Deutschen auch immer wieder vor Augen führen. Er rief auf zum Schulterschluss mit den Niederlanden, um die Freiheiten in Europa zu verteidigen. „Wenn wir den Geist der Renationalisierung aus der Flasche lassen, dann wird sich auch alles andere ändern“, mahnte Westerwelle. Daher sei er trotz aller gebotenen Neutralität froh über den Ausgang der Wahlen in den Niederlanden. „Die Renationalisierung mag in Talkshows geländegängig sein, aber in einer globalisierten Welt ist sie ein Anachronismus.“ Mit Haushaltsdisziplin, Solidarität und gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit könne Europa voranschreiten. So wie Bundeskanzler Schröder mit der Agenda 2010 Deutschland modernisiert habe, brauche man jetzt eine Agenda 2020 für Europa. „Europa ist mehr als ein Friedensprojekt, es ist unsere Lebensversicherung! Wir allein sind zu klein in der Welt, um gehört zu werden“, sagte Westerwelle.

Beide Politiker waren sich einig, dass Europa eine beispiellose Wertegemeinschaft darstelle.

„Reich kann man auch in Peking werden, aber kann ich mich dort frei entfalten? Reich kann ich auch in Sao Paolo werden, aber lebe ich dort auch sicher? Reich kann ich auch in Nigeria sein, aber in welcher Umwelt lebe ich dann?“ gab Westerwelle zu bedenken. Er stelle mit zunehmendem Alter fest, dass es so etwas wie eine gemeinsame europäische Wertegemeinschaft gebe. „Von außen betrachtet, sind wir eine Kulturgemeinschaft“.

Damit man sich untereinander noch besser versteht, setzte sich Frans Timmermans, der leidenschaftlichen Literaturfan, dafür ein, mehr Sprachen zu lernen, zumindest die Sprache der Nachbarn, damit man nicht nur kommunizieren könne, sondern sich einem auch die andere Kultur erschließe. Und das sei letztendlich wieder gut für das Geschäft, wenn man seine Partner besser verstehe.

Außenminister Westerwelle forderte die Politiker dazu auf, nicht mehr nur Resonanzboden für Stimmungen in der Bevölkerung zu sein, sondern um die Meinungsführerschaft auch bei unbequemen Themen zu ringen. Timmermans warnte davor, in Europa die Nord-Süd-Diskussion zu pflegen. „Diese Bilder vom Norden und Süden machen Europa kaputt. Wenn es in Griechenland und Portugal schief geht, dann wird das auch bald bei uns der Fall sein. Wir tragen alle eine große Verantwortung.“

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