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Deutsch-Syrischer Deserteur: Im Kampf mit dem eigenen Volk

Ammar Cheikhomar war bis vor kurzem Soldat in der syrischen Armee. Er desertierte und wechselte auf die Seite der Rebellen. Warum entschied sich der Deutsch-Syrer, so zu handeln?

An einem Tag Anfang August verlässt Ammar Cheikhomar die syrische Armee. Gemeinsam mit zwei Freunden setzt er sich gegen Mittag in Hama von der Truppe ab, wechselt die Kleidung, klopft in T-Shirt und kurzer Hose an eine x-beliebige Tür, findet Hilfe, taucht unter – und wenige Wochen später, am 4. September, in einem Youtube-Video wieder auf: „Dies ist ein Wort an alle freie Menschen, die an Frieden, Demokratie und Gleichberechtigung glauben“, sagt er und verliest dann, in Flecktarn vor einem blauen Betttuch sitzend, auf Deutsch seine Geschichte. Die beginnt am 7. Dezember 1982 in Rheda-Wiedenbrück und findet ihr vorläufiges Ende in einem Camp der „Freien Syrischen Armee“, auf türkischem Boden, unweit der türkisch-syrischen Grenze; vor dem blauen Leinwandersatz, vor dem Cheikhomar die internationale Gemeinschaft um Hilfe bittet für das syrische Volk, in seinem Kampf gegen Baschar al Assad, den Oberbefehlshaber jener Armee, der Cheikhomar selbst angehörte.

Was Cheikhomar in diesem Video und später auch im Gespräch mit dem Tagesspiegel aus dem Innern dieser Armee berichtet, scheint die schlimmsten Vermutungen zu bestätigen: Cheikhomar, nach eigenen Angaben seit dem 01.12.2010 Wehrdienstleistender, will bereits am 17. März, dem ersten Tag der Unruhen in Daraa, einen Schießbefehl erhalten haben. Bei Folterverhören will er zugegen gewesen sein, er bezeugt die Bombardierung syrischer Städte durch die eigene Armee.

Ein Zeuge ist Cheikhomar aber auch dafür, wie nah die syrischen Ereignisse dem Leben in Deutschland rücken können: dort nämlich, wo – wie in seinem Fall geschehen – ein Syrer mit deutschem Pass zum Jurastudium nach Aleppo geht, dort eine syrische Medizinstudentin kennenlernt und beschließt, mit ihr dort zu bleiben. Dass er sich für Frau und Tochter mit einem totalitären Regime arrangiert, ist Cheikhomar dabei jederzeit bewusst: „Wenn man schlecht über den Präsidenten gesprochen hat, ist man einfach verschwunden.“ Unerträglich wird die Situation für den angepassten Mittelschichtler erst mit seinem Kampfeinsatz gegen das eigene Volk, von dem Cheikhomar eindringlich berichtet: „Die Armee brauchte jeden, auch wir Wehrdienstleistenden wurden sofort von Damaskus nach Daraa verlegt. Es war sehr brutal. Die Anzahl der Toten hat keine Rolle gespielt. Und viele mussten schießen. Wenn neben dir der Offizier steht oder jemand von der Geheimpolizei, hast du keine Wahl.“

Dass Ammar Cheikhomar dann trotzdem noch einmal Monate braucht, um den Schritt auf die andere Seite zu wagen, will er als Zeichen für die große Gefahr verstanden wissen. „Wir hatten Angst und mussten den richtigen Zeitpunkt treffen.“ Im August in Hama sah Cheikhomar den gekommen: „In Hama war die ganze Bevölkerung auf den Straßen. Da wussten wir, dass die uns dort schützen können. Uns wurde gesagt: Ihr könnt an irgendeine Tür klopfen und sagen, dass ihr von der Armee geflüchtet seid. Sie werden euch dann helfen.“

Den Unmut auch in der syrischen Armee schätzt Cheikhomar groß ein: „Ich glaube, dass viele daran denken, die Armee zu verlassen. Aber sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen.“ Noch nicht überall sei die Bevölkerung so aufgeschlossen wie in Hama. Umso wichtiger sei es nun, von der Grenze aus den Kontakt zu Familie und Freunden zu pflegen: „Wir versuchen, den Soldaten und den Familien Mut zu machen.“ Zwischen 300 und 400 Deserteure, schätzt Cheikhomar, seien bereits in dem Camp der „Freien Syrischen Armee“, „aber es kommen täglich Leute dazu“. Andere gingen auch wieder zurück ins Land. Ein Eingreifen in den Konflikt traut Ammar Cheikhomar zumindest den Kämpfern in seinem Umfeld, zu dem Cheikhomar nach einem Deutschlandaufenthalt in dieser Woche nun zurückkehren will, derzeit nicht zu: „Wir warten, bis die Regierung endlich stürzt.“ Dass das passieren wird, dessen ist er sich absolut sicher: „Früher oder später wird das Regime zusammenbrechen.“ Besondere Forderungen an die internationale Gemeinschaft, die die Opposition diesem Ziel näherbringen können, stellt zumindest Cheikhomar nicht: „,Fordern ist das falsche Wort. Ich wünsche mir aber eine Flugverbotszone.“

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