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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Ministerpräsident der Türkei, Ahmet Davutoglu.

© dpa

Deutsch-türkische Konsultationen: "Eine Chance für Frieden und Demokratie in der Türkei"

Deutschland sollte bei den ersten Regierungskonsultationen nicht nur über Flüchtlinge sprechen, sagt die Politologin Gülistan Gürbey. Europa habe auch ein Interesse an einer liberalen Türkei.

Im Mittelpunkt der neuen engen Kontakte mit der Türkei steht die Erwartung, dass sie hilft, syrische Flüchtlinge bei sich zu behalten, statt sie nach Europa weiterziehen zu lassen. Aber das scheint nicht zu funktionieren.

Die Gespräche darüber haben erst im vergangenen Herbst begonnen. Das ist eine kurze Zeitspanne, so etwas geht nicht von heute auf morgen. Und möglicherweise sind die deutschen und europäischen Erwartungen auch zu groß. Solange es Krieg gibt in Syrien, wird es auch weiter und immer mehr Flüchtlinge geben. Im übrigen hoffe ich, dass es nicht bei diesem einen Thema zwischen den beiden Regierungen bleiben wird. 

Gülistan Gürbey
Gülistan Gürbey

© privat

Sie sind Konfliktforscherin und unter anderem auf den Kurdenkonflikt spezialisiert. Sehen Sie da ein deutsches Interesse?

Der türkische Kurdenkonflikt hatte schon immer Auswirkungen nach Europa, bis nach Berlin, weil er auch hier lebende türkische und kurdische Bevölkerung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt tangiert. Seit dem letzten Jahr versuchen beide Seiten, die PKK wie die Regierung in Ankara, diesen Konflikt erneut mit Gewalt und militärisch zu lösen, also etwas, was dreißig Jahre lang immer in eine Sackgasse geführt hat. Die PKK hat den Krieg in die Städte getragen, das muss dringend aufhören. Dass die türkische Regierung darauf mit einem exzessiven militärischen Gewalteinsatzreagiert und die kurdische Zivilbevölkerung vor Ort kollektiv bestraft, wie Amnesty International in ihrem jüngsten Bericht darlegt, ist aber unverhältnismäßig und gefährlich. Bereits jetzt sind zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, ebenso eine  anhaltende Fluchtwelle der Zivilbevölkerung aus diesen Gebieten. Die Gewalteskalation auf beiden Seiten muss dringend gestoppt werden. Nicht zuletzt haben kriegsähnliche Zustände auch immer einen negativen Einfluss auf Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, die ohnehin in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt wurden.

Das passiert aber nicht nur im Kurdengebiet.

Exakt, das betrifft die Entwicklung der Demokratie im ganzen Land. Die Rückschritte im Bereich der Grundrechte, die der jüngste Fortschrittsbericht der EU im November 2015 klar angesprochen hat, sind seitdem nicht weniger, sondern größer geworden. Es gibt den Versuch, jede regierungskritische Stimme mit rechtlichen Maßnahmen still zu legen, Journalisten wie Unternehmer oder Wissenschaftlerinnen. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die türkische Demokratie autoritär abdriftet. Umso wichtiger ist es, dass Europa, aber auch Deutschland ein klares demokratiepolitisches Signal setzen.

Die Regierungskonsultationen bieten geradezu die Chance, mehr Einfluss zu nehmen und vor allem konstruktiv einzuwirken. Deshalb gehören auch demokratiepolitische Defizite und die Kurdenpolitik mit auf die Agenda. Das ist zwingend erforderlich. Schweigen und Wegschauen sind nicht zielführend. Denn sowohl Europa als auch Deutschland haben schließlich ein eigenes Interesse an einer stabilen, liberalen und rechtsstaatlichen Türkei. Nur so ist eine nachhaltige und vertrauenswürdige Zusammenarbeit auf Dauer möglich.

Regierungskonsultationen sind eine besondere Art der Zusammenarbeit. Ist es gut, dass es sie nun auch mit der Türkei gibt? 

Diese Form der institutionalisierten Zusammenarbeit ergibt sich dann vor allem, wenn zwei Länder auf vielen Gebieten gemeinsame Interessen haben. Zwischen der Türkei und Deutschland kommt noch eine lange historische Linie dazu, die bis ins Osmanische und Kaiserreich zurückreicht, und die starke türkische und kurdische Migration nach Deutschland. Auch wenn Syrien, der IS-Terror und die Flüchtlingsfrage jetzt im Vordergrund stehen: Es ist davon auszugehen, dass das der Beginn einer noch engeren Zusammenarbeit auf Dauer wird. Natürlich kann dieser institutionalisierte Rahmen auch zu einer echten demokratie- und friedensfördernden Chance werden, aber nur dann, wenn er auch von diesem Anliegen geleitet ist und auch in diesem Sinne gezielt genutzt wird. Das wird aber die Zeit zeigen.

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