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Ein Mann trägt am 18.09.2016 einen Kapuzenpulli mit der Aufschrift «Natürliche Härte geboren im Osten».

© dpa

Deutsche Einheit und Fremdenfeindlichkeit: Das Schlimmste ist die Ignoranz

Demokratische Werte vermitteln sich nicht von alleine. Schon gar nicht in Ostdeutschland. Die Parteien müssen sich die Frage gefallen lassen, was sie getan haben, damit keine Fremdenfeindlichkeit aufkommt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Der Befund ist hinlänglich bekannt: Auch 26 Jahre nach dem Fall der Mauer misstrauen viele Ostdeutsche der Demokratie. Sie erwarten wenig von der Politik. Dass diese Hoffnungslosigkeit, gepaart mit sozialen Nöten, gerade in ländlichen und kleinstädtischen Regionen schnell in extremen Auffassungen mündet und schuld ist an Ressentiments gegen alles Fremde, überrascht niemanden. Wer Angst hat, wehrt das Unbekannte ab – in Rostock-Lichtenhagen, in Bautzen und anderswo. Und wo die Politik Glaubwürdigkeit verloren hat, öffnen sich die Herzen für einfache Rezepte. Dieser Befund – so schwer er auch auszuhalten sein mag – ist nun einmal auch ein Teil der Wiedervereinigung.

Das Problem des Ostens sind nicht zu viele Ausländer, sondern zu wenige. Wenn man gemeinsam mit Immigrantenkindern aufgewachsen ist, dann differenziert man und lernt Menschen als Individuen zu betrachten und nicht als Teil einer synthetischen Volks- oder Religionsgemeinschaft.

schreibt NutzerIn louhan

Nun schlägt die Bundesregierung in Gestalt ihrer Ost-Beauftragten Iris Gleicke (SPD) Alarm. Sie warnt, Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Ausschreitungen gefährdeten den gesellschaftlichen Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens. Das ist ein starkes, ein heuchlerisches Stück. Nicht allein, dass die pauschale Bewertung verkennt, mit welcher Einsatzbereitschaft lokale Politiker und Freiwillige seit fast drei Jahrzehnten gegen rechts- (und auch links-) extreme Gruppen zu Felde ziehen und sich zuletzt für die Aufnahme von tausenden Flüchtlingen eingesetzt haben. Sondern mit einem Federstrich werden auch wirtschaftlich erfolgreiche Regionen mit jenen gleichgestellt, in denen Abwanderung und Überalterung zu verfestigter sozialer Depression geführt haben. So macht man Schlagzeilen. Und so verschreckt man Investoren in aller Welt. Der ganze Osten ein Dunkeldeutschland.

Hilflose Bürgermeister

Viel schlimmer ist jedoch die politische Hilflosigkeit, ja Ignoranz, die dahintersteht. Schließlich ist die Ablehnung von Fremdem keine genetische Veranlagung der Ossis. Auch im Westen gab und gibt es derartige Phänomene, denen mal mehr, mal weniger erfolgreich entgegengetreten wird. Im Osten –wo Weltoffenheit und Demokratie keine Tradition haben – ist es umso wichtiger, Werte zu vermitteln und die Menschen in die Entwicklung ihres gesellschaftlichen Umfelds einzubinden. Und wer sollte das wohl tun, wenn nicht die Politik, die Parteien, Regierungen und natürlich: die Ost-Beauftragte selbst, die thüringische Abgeordnete Gleicke also.

Statt die Hände zu ringen, wäre es nötig, mit den eigenen Leistungen der Demokratiebildung selbstkritisch ins Gericht zu gehen. Denn es läuft offensichtlich etwas verkehrt. Womöglich erreichen die Millionenbeträge, die jedes Jahr in Demokratie- und Toleranzprojekte investiert werden, nicht die richtigen Adressaten. Oder die demokratischen Parteien – auch und besonders die selbst ernannte linke ostdeutsche Volkspartei – haben nicht die richtigen Rezepte, um Menschen von Toleranz und Offenheit zu überzeugen. Wo immer sich in der Vergangenheit Dumpfheit zeigte, erfuhr man hinterher von alleingelassenen Bürgermeistern, überforderten Kommunalparlamenten. Demokratische Strukturen versagen dort also. Auch Gewerkschaften, Handelskammern und Bildungseinrichtungen müssen sich die Frage gefallen lassen, mit welchen Mitteln sie in ihren Regionen gegen Fremdenfeindlichkeit vorgegangen sind. Demokratische Werte vermitteln sich eben nicht von allein. Schon gar nicht unter den gesellschaftlichen Bedingungen in Ostdeutschland. Wer das 26 Jahre lang ignoriert, muss sich nicht wundern über Pegida, AfD & Co.

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