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Svenja Kleinschmidt, Christian Salewski

© Kleinschmidt/Salewski

Deutsche Nachwuchsjournalisten in Israel: "Krieg sells, auch wenn's zynisch klingt"

Sie suchten eine neue Erfahrung und fanden den Krieg. Die Journalisten Svenja Kleinschmidt und Christian Salewski schreiben derzeit regelmäßig aus Tel Aviv und Jerusalem, auch für die Seite Drei des Tagesspiegel. Sie erlebten Mitbewohner, die von einem Tag auf den anderen ihre Bücher gegen einen Panzerhelm tauschen und Kassam-Raketen, die ganz in der Nähe in den Asphalt einschlagen. Unverhofft berichten sie über den Krieg im Gazastreifen. Als sie Ende letzten Jahres in Israel ankamen, sah es nicht nach dem israelischen Einmarsch in Gaza aus.

Was ist die größte Absurdität des Krieges für Sie?

Kleinschmidt: Gaza brennen zu sehen und vor dieser Kulisse Reporter zu erleben, die grinsend Fotos fürs Familienalbum machen: Das war für mich das Absurdeste.

Sind Sie in eine Extremsituation geraten?

Kleinschmidt: Ich bin vor Kassam-Raketen in Sderot geflüchtet und stand kurz vor der Grenze zu Gaza – ich habe heftige Explosionen sehr nahe bei mir gespürt und habe Feuer und Rauch gesehen. Das erschüttert, macht deutlich, wie unsicher man als Beobachter ist. Einmal schlug eine Kassam rund 150 Meter von mir ein.

Salewski: Neulich war ich bei einer Demonstration an einem israelischen Checkpoint. Da wurden Steine geworfen, Barrikaden brannten. Irgendwann schossen die israelischen Soldaten Tränengas. Aber das war alles nichts, was man nicht von einem ersten Mai in Berlin-Kreuzberg kennen würde.

Wie ist es im Moment, als Journalist in einer Krisenregion zu arbeiten? Zumal Sie nicht damit gerechnet haben?

Kleinschmidt: Ich wurde in diese Situation einfach hineingeschleudert, ohne dass ich viel darüber nachdenken konnte. Als plötzlich die Möglichkeit bestand, nach Sderot und direkt an die Grenze zu Gaza zu fahren, habe ich keinen Moment gezögert, sondern wusste: Ich will da hin, ich muss das mit eigenen Augen sehen. In einem Kriegsgebiet zu arbeiten, bedeutet für mich daher einerseits, den Schrecken des Krieges recht direkt zu erleben, andererseits das journalistische Arbeiten in einem Krisengebiet kennen zu lernen.

Gibt es eine Grenze, wo Sie sagen: "Das mache ich jetzt nicht"

Salewski: Natürlich gibt es die. Ich bin kein Kriegsreporter. Ich habe mir gesagt: Sobald bei Ausschreitungen oder Ähnlichem scharf geschossen wird, bin ich weg. Und: Ich würde derzeit auf keinen Fall in den Gaza-Streifen gehen.

Können Sie bei der Situation ohne weiteres professionell bleiben? "Funktionieren" Sie einfach?

Salewski: Natürlich lassen einen die Bilder aus Gaza nicht kalt, auch wenn man weiß, dass Bilder im Krieg immer auch Propaganda sind. Ich funktioniere also nicht einfach und bin sensibel gegen versuchte Beeinflussung.

Kleinschmidt: Ich fühle mich professioneller als je zuvor. Ich hätte nie gedacht, so wenig ängstlich zu sein, kann selbst in meiner Freizeit schwerlich von meinen Reporterimpulsen Abstand nehmen. Aber vielleicht ist gerade das noch etwas Unprofessionelles.

Fühlen Sie sich als Nutznießer der Kriegs-Situation?

Kleinschmidt: Es ist grotesk: Krieg schafft Aufträge.

Salewski: Es ist derzeit nicht schwierig, gut gemachte Geschichten aus Israel zu verkaufen. Krieg sells, auch wenn es zynisch klingt.

In welchem Umkreis bewegen Sie sich?

Salewski: Ich wohne in Jerusalem, bin überall in der Stadt und auch regelmäßig hinter dem sogenannten Sicherheitszaun unterwegs. Der besteht rund um Jerusalem meist aus einer acht Meter hohen Mauer.

Kleinschmidt: Ich bin bis an die ägyptische Grenze nach Rafah gefahren, das komplette Grenzgebiet zu Gaza bis in den Süden.

Können Sie den Informationen immer vertrauen?

Salewski: Eine gesunde Skepsis sollte man immer haben. In Nahost erzählt jede Seite gern ihre Version der Geschichte und zwar nur ihre. Man muss immer beide Seiten im Blick behalten. Gerade in Jerusalem ist das möglich, da wohnen alle nah beieinander.

Verschieben sich die Themenschwerpunkte?

Salewski: Eine Reportage über die Situation in Sderot, der raketengeplagten israelischen Kleinstadt im Süden, hat inzwischen jede Zeitung gedruckt. Man muss schon etwas "exotischere" Zugänge finden.

Kleinschmidt: Es herrscht noch Krieg, da kann man nicht umschwenken auf bunte Themen. Daher sucht man immer noch nach Geschichten, die einen Bezug zu den Kämpfen haben. Allerdings: Kriegsthemen will keiner mehr lesen: schließlich haben die Leser schon "genug Israel" in letzter Zeit gehabt.

Glauben Sie, dass Sie durch Ihre Berichterstattung etwas bewirken?

Salewski: Ich will den Menschen in Deutschland ein umfassendes und objektives Bild der Situation vermitteln. Wenn mir das nur ein bisschen gelingt, dann habe ich etwas Positives bewirkt, denke ich.

Kleinschmidt: Nein. Ich kann informieren – mehr nicht.

Wie kritisch sind Sie? Haben Sie manchmal das Gefühl, parteiisch zu sein?

Salewski: Ich behaupte unparteiisch zu sein. Das Wichtigste ist, skeptisch zu bleiben. Wer erzählt mir etwas warum? Ich bin kritisch und lasse mich nicht vereinnahmen.

Kleinschmidt: Ich muss mich permanent mit diesem Thema auseinandersetzen. Sowohl israelische als auch arabische Freunde halten mich für parteiisch, wenn ich versuche, ausgewogen zu argumentieren. Man hat eine Meinung, die kann man auch als Journalist nicht ablegen.

Haben Sie viel Input von der Bevölkerung?

Salewski: Wenn man rausgeht und neugierig ist, dann erzählen einem die Menschen schon sehr viel. Meistens sind das Meinungen zum Krieg, aber es gibt immer wieder Hinweise auf interessante Geschichten.

Kleinschmidt: Der Krieg ist präsent im Alltag, zumindest in Gesprächen.

Wie viel reden die Menschen über den Krieg?

Salewski: In Jerusalem? Durchgehend. Viele sind direkt oder indirekt betroffen. Im Bus etwa laufen ständig Radionachrichten auf voller Lautstärke. In den Geschäften stehen Fernseher. Die Diskussion über den Krieg ist in etwa so selbstverständlich wie in Deutschland das Gespräch über das kalte Wetter.

Kleinschmidt: Tel Aviv ist immer noch Sonne und Strand, aber dem Krieg als Gesprächsthema kann man nicht entgehen.

Wie funktioniert das Zusammenleben der verschiedenen muslimischen und jüdischen Bevölkerungsschichten?

Salewski: In Jerusalem erstaunlich gut. Klar, die Spannung ist gewachsen, aber bis auf kleinere Demonstrationen und Ausschreitungen ist hier noch nicht viel passiert. Die israelische Polizei hält sich merklich zurück und deeskaliert so weit wie möglich.

Kleinschmidt: Die Fronten verhärten sich. Die Menschen entfernen sich vom Frieden, und voneinander. Krieg schafft neuen Krieg.

Sind die Menschen eher hoffnungslos oder zuversichtlich?

Salewski: Auf palästinensischer Seite sind die meisten wütend aber resigniert. Auf israelischer Seite hoffen sie, dass all das Blutvergießen etwas bringt und der Süden des Landes tatsächlich in Zukunft von Raketen der Hamas verschont bleibt, aber die Skepsis wächst.

Kennen Sie Menschen, die direkt in den Krieg verwickelt waren? Wie gehen Sie damit um?

Kleinschmidt: Ich habe eine Freundin mit Familie in Gaza, die sind bisher unbeschadet.

Salewski: Das Haus der Eltern meiner israelischen Mitbewohnerin in Ashdod wurde von einer Rakete getroffen. Zum Glück wurde niemand verletzt. Ein anderer Mitbewohner wurde als Reservist eingezogen und ist jetzt gerade im Gaza-Streifen. Ist schon merkwürdig: Eben war er noch ein Student im ersten Semester, jetzt sitzt er auf einem Panzer. Ich hoffe, dass er heil wiederkommt, aber genauso hoffe ich, dass er nicht zu den viel zu hohen Opferzahlen auf palästinensischer Seite beiträgt. (hyc)

Svenja Kleinschmidt und Christian Salewski (beide 28) sind Absolventen der Deutschen Journalistenschule München und nehmen derzeit am israelischen Stipendienprogramm der Herbert-Quandt-Stiftung für Nachwuchsjournalisten teil.

Hüseyin Ince

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