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Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 07.04.2016 in Berlin zu Beginn des Symposiums "Flüchtlinge in Deutschland: Integration ermöglichen - Zusammenarbeit stärken".

© Kay Nietfeld/dpa

Deutsche und Flüchtlinge: Gauck: Wir sind zuallererst Bürger

Für den Bundespräsidenten gehören Flüchtlinge zu unserer Gesellschaft - auch die, die nicht für immer bleiben. Und Gauck will, dass sie von Anfang an integriert werden.

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Deutschen zu Engagement für Flüchtlinge über politische Lagergrenzen hinweg aufgerufen. Ganz gleich wie man zu Fragen wie Zuzugsbegrenzungen stehe: „Alle, die in Deutschland eine Bleibeperspektive bekommen, müssen wir auf dem Weg in unsere Gesellschaft begleiten.“ Für gutes Zusammenleben sei entscheidend, dass sich möglichst viele Menschen als soziale Wesen verstehen und sich aufs demokratische Gemeinwesen bezögen. Er plädierte für "eine bürgerschaftliche Haltung" unabhängig vom Pass. "Wir sind in diesem Sinne zuallererst Bürger, dann erst kommen unsere kulturellen und religiösen Prägungen." Gauck hatte am Donnerstag zu einem Forum „Flüchtlinge in Deutschland: Integration ermöglichen, Zusammenhalt stärken“ in seinen Amtssitz Schloss Bellevue eingeladen, organisiert von der Bosch-Stiftung.

"Ertragen, auch einmal auf Sicht zu fahren"

Zur Integration, so Gauck, gehöre auch, dass man sich den „altbekannten Konflikten unserer Einwanderungsgesellschaft“ stelle. Migration führe zu Spannungen, auf seiten der Neuen wie der Alteingesessenen. Beide Seiten sähen ihre vertraute Welt in Gefahr. Konflikte seien aber kein Zeichen dafür, dass Integration gescheitert sei – „ganz im Gegenteil“. Das Fundament, auf dem sie ausgetragen werden müssten, sei das Grundgesetz, erklärte der Bundespräsident. Die Einwanderungsgesellschaft sei „immer auch eine Aushandlungsgesellschaft“. Andererseits gelte: „Für kulturelle Eigenarten, die Gesetzen zuwiderlaufen, kann es keine mildernden Umstände geben.“
Den aktuellen Ton der politischen Auseinandersetzung nannte Gauck „schärfer, als die Probleme dies nötig machen“. Deutschland sei stabil, und „dass einige zu Brandstiftern werden, nimmt weder der Staat noch die große Mehrheit der Gesellschaft hin.“ Auf die spätere Frage wollte er sich den Satz der Kanzlerin „Wir schaffen das“ nicht zu eigen machen, sagte aber, man müsse es „ertragen, auch einmal auf Sicht zu fahren“. Eine „Kultur der Ermutigung“ sei nötig, auch wenn man noch nicht alle Lösungen kenne.
Der Präsident rief dazu auf, sich auch „denen zuzuwenden, die nicht langfristig bleiben dürfen.“ Der Integrationsprozess müsse auch für sie „direkt nach der Ankunft beginnen“. Menschen, die womöglich nur vorübergehend in Deutschland seien, müssten ebenfalls Deutsch lernen und arbeiten können: „Sonst riskieren wir, dass Frust und Langeweile in Gewalt und Kriminalität umschlagen oder politischer und religiöser Extremismus gedeihen“, sagte Gauck.

Sofort Arbeit, sofort in die Schule

Damit ging Gauck noch etwas weiter als die Kommission der Bosch-Stiftung, die am Tag zuvor ihre Vorschläge „zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik“ vorgelegt hatte. Das Gremium hatte Arbeitsmöglichkeiten nach drei Monaten vorgeschlagen – dies aber für Menschen mit der Aussicht auf Anerkennung.
Ähnlich äußerte sich auf der Veranstaltung in Schloss Bellevue Detlef Scheele, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Sprachkurse und die Möglichkeit, zumindest als Hilfsarbeiter zu arbeiten, müsse es unmittelbar geben, sagte Scheele, „mindestens für Menschen aus den wichtigsten Herkunftsstaaten“. Das sind aktuell Syrien, Irak und Afghanistan. Arbeit sei auch ein Weg der Integration, sie sei „mehr als Geldverdienen“.
Gisela Schultebraucks-Burgkart, Leiterin einer Grundschule in Dortmund und am Freitag ebenfalls Gast im Bellevue, hat aus ähnlichem Grund keine Willkommensklassen an ihrer Schule: Flüchtlingskinder bekommen intensiven Zusatzunterricht in Deutsch, aber sie werden gleich in die regulären Klassen geschickt – sie sollen auch von ihren deutschen Mitschülerinnen und -schülern lernen.

Wohlstand und Kriege verbinden stärker als Werte

Petra Schickert, die in ihrem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine „Arbeitsgemeinschaft Asylsuchende“ aufbaute, vertrat auf dem Podium beim Bundespräsidenten jene Zivilgesellschaft, die nach wie vor hilft und „die es in Sachsen nicht immer leicht hat“. Ihre AG, einst die einzige, ist inzwischen eine von 20 Unterstützerinitiativen in ihrem Landkreis. Das habe auch die Bürgermeister ermutigt, Flüchtlinge aufzunehmen. Das Abschlusspodium des Tages widmete sich den großen Fragen nach Werten und Zusammenhalt der Gesellschaft. Die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff und der Sozialphilosoph Hans Joas zweifelten am engen Zusammenhang beider. In der alten Bundesrepublik sei Wohlstand für den Zusammenhang wichtiger gewesen, sagte Joas. Dass die junge Generation das Grundgesetz akzeptierte, „war bedeutender als die Konversion der Alten“. Auch militärische Niederlagen oder Erfolge hätten historisch über Zusammenhalt entschieden. Die Juristin Lübbe-Wolff sagte, die Vorstellung einer homogenen Gesellschaft sei heute „unhaltbar“. Je differenzierter sie aber werde, desto nötiger sei Konzentration auf das Wesentliche: „Die Rechtsordnung ist das Zentrum.“ Ob eine Lehrerin ein Kopftuch trage „wäre mir nicht so wichtig“, ebenso, ob ein Schüler den Handschlag verweigere – solange er die Anweisungen von Lehrerinnen befolgt. „Man muss auf funktionaler Autorität bestehen, nicht darüber hinaus gehen.“

Zweite Amtszeit? Der Präsident antwortet nicht

Die Abschlussfrage des Moderators Ali Aslan blieb freilich unbeantwortet: die nach einer zweiten Amtszeit Gaucks beziehungsweise seiner Kandidatur dafür. „Ich habe schon alle Varianten dieser Frage beantwortet“, sagte der Präsident vor lachendem Publikum. „Ich habe nicht die Absicht, dies noch einmal zu tun.“

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