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Der Blick auf die osttürkische Grenzstadt Kars.

© AFP

Historisches: Deutscher Friedhof in Osttürkei wird zur Viehweide

Erst Ende Juli hat August Albuk, Oberhaupt der letzten deutschstämmigen Familie in Kars, seine Mutter beerdigt. Seitdem muss er Wache schieben am Grab. Die Stadt ist sich ihrer besonderen historischen Verantwortung bewusst.

Viele Hinweise auf die frühere deutsche Gemeinde sind nicht mehr übrig in der ostanatolischen Stadt Kars. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein lebten in der Gegend nahe der armenischen Grenze die Nachfahren deutscher Einwanderer, die einst von den Russen in das Gebiet gebracht worden waren. Heute gibt es nur noch eine einzige deutschstämmige Familie in Kars, ein „Deutsches Haus“ wurde im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Botschaft in Ankara teilweise restauriert, ist aber dennoch in einem schlechten Zustand. Nun ist der deutsche Friedhof von Kars, der wohl einzige seiner Art in der ganzen Türkei, von der Zerstörung bedroht.

Erst Ende Juli hat August Albuk, Oberhaupt der letzten deutschstämmigen Familie von Kars, auf dem Friedhof seine Mutter Olga beerdigt. Zusammen mit seinem Bruder Petro hat er seitdem immer wieder Wache schieben müssen am Grab. Denn der Zaun um den Friedhof war im Zuge von Bauarbeiten für ein Krankenhaus in der Nähe eingerissen worden, der Friedhof ist zur Viehweide geworden. „Kühe und Schafe grasen jetzt hier,“ sagte Albuk am Montag dem Tagesspiegel. Auch Frederik Albuk, der Vater von August und Petro, ist auf dem 1877 eingerichteten Friedhof begraben, der nach Albuks Schätzung rund 150 bis 200 Gräber hat.

Der Machtkampf früherer Großmächte hatte die Deutschen im 19. Jahrhundert nach Kars gebracht. Die Osmanen und das russische Zarenreich waren Rivalen im Kaukasus und im Osten Anatoliens – noch heute sind in Kars, das vorübergehend zum russischen Reich gehörte, viele Gebäude zu sehen, die an die damalige Zeit erinnern. Die Deutschen von Kars sollen für ihren guten Käse berühmt gewesen sein.

Viele der deutschen Zuwanderer lebten in einem Dorf, das früher Paulinenhof hieß und heute Kacaören – Schwarzbrunnen – genannt wird. Deutsche Siedler aus Estland gründeten es 1892, nachdem sie aus ihrer Heimat nach Ostanatolien gekommen waren. Warum Deutsche aus aus dem Baltikum nach Kars kamen, ob sie sich freiwillig hier niederließen oder gezwungenermaßen, ob sie als Handwerker kamen oder als Bauern, das wissen August und sein Bruder Petro nicht so genau. Einig sind sie sich mit Historikern aber, dass ihr Dorf auch nach Gründung der Türkischen Republik noch mehrere hundert Einwohner deutscher Abstammung zählte - bis die meisten von ihnen in den 1970er Jahren nach Deutschland auswanderten. Die Albuks blieben.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn“, steht an einer Innenwand des „Deutschen Hauses“ in Kars, das den Einwanderern als Schule und Gotteshaus diente. Trotz der Teilrenovierung des Hauses mit Hilfe deutscher Sponsoren im vergangenen Jahr seien Ornamente und Inschriften dringend restaurierungsbedürftig, berichtete der für Kars zuständige deutsche Honorarkonsul Yilmaz Kuskay nach Angaben der deutschen Botschaft in Ankara.

Die Stadt Kars ist sich ihrer Verantwortung für ihre besondere Geschichte bewusst, wie ihr Sprecher Mürsel Avanas sagte. Dazu gehöre auch der Schutz für den deutschen Friedhof. „So bald wie möglich werden wir das regeln“, versprach Avanas, die Ausschreibung für die Errichtung eines neuen Zauns laufe derzeit noch.

Unterdessen hat August Albuk seine Wache auf dem Friedhof abbrechen müssen: „Es hat angefangen zu schneien“, sagte er. Dennoch gehe er täglich zum Friedhof, um nach dem Rechten zu schauen. Bisher kann das Vieh auf dem Friedhof weiter ungestört grasen.

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