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Politik: „Deutschland hat eine neue Verpflichtung“

Bundestagspräsident Thierse über Berlins Rolle in der Irak-Krise, das Verhältnis zu den USA und Amerikas Umgang mit den UN

DER IRAK – ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN

Hat sich Deutschland durch das starre Nein zu jeder Intervention im Irak isoliert?

Diese These ist durch den Gang der Dinge widerlegt. Das deutsche Nein ist ein wesentlicher Beitrag, dass es eine wirkliche Auseinandersetzung gibt um die Frage, ob der Krieg nicht zu verhindern ist. Ob die Entwaffnung des Irak, das ist das gemeinsame Ziel, nicht auch mit friedlichen Mitteln möglich ist, also durch Inspekteure.

Wollen Sie sagen, dass durch die Haltung Deutschlands Franzosen und Russen als ständige Mitglieder des Sicherheitsrats erst zu der Haltung kamen, die sie heute einnehmen?

Ich will nicht übertreiben und sagen, es liegt alles am deutschen Nein. Aber in dem Moment, wo ein mittlerer Staat, ein mittelwichtiger Staat, in einer Frage eine entschiedene Position bezogen hat, beeinflusst er natürlich auch andere Länder in deren Haltung. Bundeskanzler Schröder hat sich sehr früh, wie ich finde richtigerweise, dafür entschieden, für die friedliche Entwaffnung zu votieren. Ich glaube, dass dies wirksam gewesen ist. Politische Mächte, die signalisieren, dass sie jede Entscheidung der USA mittragen, welchen Einfluss haben die auf die Entscheidungen der USA? Keine. Denn sie haben ja schon signalisiert, dass sie immer Ja sagen werden.

Und dafür hat sich Deutschland in die Abhängigkeit von Frankreich und Russland begeben.

Was heißt das: Abhängigkeit? Dass Deutschland nicht alleine Politik machen kann, sondern dass man im Verbund mit anderen das tun muss, das halte ich für vernünftig, aber daraus sollte man keinen Vorwurf machen. Die Alternative ist bedingungslose Gefolgschaft gegenüber den USA, und das halte ich vor dem Hintergrund der europäischen Erfahrungen nicht unbedingt für das allein selig Machende.

Und jetzt bedingungslose Freundschaft zu Frankreich und Russland …

Nicht bedingungslose Freundschaft. Sondern sich miteinander verabreden. Es finden ständige Konsultationen statt, wie man welche politischen Schritte tut.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass wir eine ungeschickte Gegenposition zu der ungeschickten englischen Position einnehmen? Die Engländer, die unabdingbar Ja sagen, egal was passiert, und die Deutschen, die Nein sagen, gleich, was passiert?

Ich will noch einmal sagen, die Regeln der UN sind so, dass kein Land, kein Staat verpflichtet ist, Ja zu sagen oder sich zu beteiligen an den Folgen einer Entscheidung.

Wenn dieser politische Kurs zum Erfolg führt, dann kann man ja fast sagen, Deutschland hat zum ersten Mal seit der Mauer wieder Weltpolitik gemacht.

Zum ersten Mal in ihrer knapp 55jährigen Geschichte widerspricht eine deutsche Regierung den USA – das ist wahrscheinlich ein Einschnitt. Und ich bemerke, dass das auch emotional für viele Deutsche, vor allem Westdeutsche, ein Problem ist. Natürlich bleiben wir dem transatlantischen Bündnis verpflichtet, natürlich hat die Mehrheit der Deutschen richtigerweise ganz positive Gefühle zu den USA. Aber vielleicht gehört es auch zum Erwachsenwerden, dass man eine Meinungsverschiedenheit einmal austrägt und nicht so handelt wie bisher, dass man am Schluss immer Ja gesagt und gezahlt hat.

Also Äquidistanz zu Russland und den USA als neue Staatsräson?

Das hat überhaupt nichts mit Äquidistanz zu tun, im Gegenteil. Freundschaft ist etwas anderes als Gefolgschaft. Das ist meine Grundüberzeugung, die auch mit meiner politischen Biographie zu tun hat. Ich glaube, dass die Europäer und die Deutschen, Politik aus einer doppelten fundamentalen Erfahrung machen sollten und machen können. Erstens, wir Europäer wissen aus eigener leidvoller Erfahrung, was Kriege sind, wir wissen es existenziell. Die USA haben Kriege geführt, aber sie nicht leidvoll selbst auf eigenem Boden erfahren. Die positive existenzielle Erfahrung ist die, die Europäer mit Hilfe der USA gemacht haben: Wir haben einen noch viel gefährlicheren Konflikt, den Ost-West-Konflikt, nicht durch Krieg gelöst, sondern mit friedlichen Mitteln überwunden. Aus dieser doppelten Erfahrung heraus kann Europa selbstbewusst Politik machen.

Macht Ihnen die hegemoniale Kraft der USA Angst? Sind Sie besorgt darüber?

Sie ist jedenfalls eine Gefährdung für die USA selber, weil Amerika ja den öffentlichen Eindruck erweckt, dass Völkerrecht und internationale Vereinbarungen für dieses Land nicht in dem gleichen Maße gelten wie für andere. Stichwort internationaler Strafgerichtshof, Kyoto-Abkommen und die Art und Weise, wie die USA gegenwärtig mit dem Weltsicherheitsrat umgehen. Wenn sich das fortsetzt, wäre es eine Veränderung der wichtigen Fortschritte in der Weltordnung, wie wir sie in einem mühseligen Prozess eben unter Führung der USA nach 1945 erreicht haben.

Die UN brauchen die Vereinigten Staaten. Brauchen die Vereinigten Staaten die UN?

Ja, das wäre im vernünftigen eigenen Interesse. Es gibt ja auch genügend US-Amerikaner, die genau dies beschreiben – dass die Durchsetzung der eigenen Interessen, die ja nicht nur ökonomische sind, sondern auch Vorstellungen von einer geordneten Welt, einer demokratischen Welt, dass dies nicht gelingen kann nur durch das Gewaltmonopol einer Supermacht. Dazu bedarf es einer allgemein akzeptierten Weltordnung, die auf dem Völkerrecht basiert. Das alles wird symbolisiert durch die Vereinten Nationen.

Die Amerikaner haben die Vorstellung, dass sie durch ein militärisches Eingreifen im Irak einen von ihnen gesteuerten Demokratisierungsprozess auslösen können. Gibt es ohne militärisches Eingreifen keine Demokratisierung der Region?

Da muss man zurückfragen: Woran lag es, dass das bisher nicht angestoßen worden ist? Das lag doch wohl auch an der US-Politik, immer Regime gestützt zu haben, die überhaupt nicht demokratisch sind. Der Irak selbst ist ein Beispiel dafür, Saudi-Arabien ein anderes. Andererseits stehen die Amerikaner in heftiger Feindschaft zu Regimen, die den mühseligen, hochgefährlichen Prozess in Richtung auf eine Demokratisierung auf sich nehmen. Da nehme ich das Beispiel Iran. Iran ist etwas demokratischer als zum Beispiel Saudi-Arabien.

Man kann doch eigentlich nicht wie ein Komet auf der Weltbühne auftauchen und dann wieder verschwinden und abtauchen. Hat Deutschland eine neue Verpflichtung?

Ich sage ausdrücklich Ja dazu. Unsere Politik wird das belegen .

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller und Stephan-Andreas Casdorff.

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