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OECD-Bildungsbericht: Deutschland hat zu wenige Hochqualifizierte

Im weltweiten Talentpool schwimmen immer weniger Hochqualifizierte aus Deutschland - weil hierzulande der Zuwachs an Spitzenkräften zu gering ist. Die OECD beobachtet diese Entwicklung mit Sorge.

Im weltweiten Talentpool schwimmen immer weniger Hochqualifizierte aus Deutschland. Während Länder wie Japan oder Südkorea in den letzten Jahren und Jahrzehnten in schnellem Tempo den Anteil ihrer gut gebildeten Absolventen gesteigert haben, kam Deutschland nur langsam voran. In den vergangenen 50 Jahren ist es im Ranking der Industrie-Staaten vom Mittelfeld auf einen der unteren Plätze abgesunken, wie aus der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ hervorgeht. Vor 50 Jahren hatte in Deutschland fast jeder fünfte junge Erwachsene einen Hoch- oder Fachschulabschluss oder einen Meisterbrief. Heute trifft das zwar auf jeden vierten zu (26 Prozent). Doch Japan hat einen Anteil von 56, Südkorea von 63 Prozent. Die OECD beobachtet Deutschland mit Sorge. „Das Angebot an hoch qualifizierten Kräften bleibt hinter der Nachfrage zurück“, sagte Andreas Schleicher, Leiter der OECD-Abteilung „Indikatoren und Analysen“ am Dienstag in Berlin.

Warum hält die OECD eine hohe Bildung für so wichtig?

Die OECD mit heute 34 Mitgliedern ist vor 50 Jahren als Thinktank der Industriestaaten gegründet worden, um über die wirtschaftliche Entwicklung den Lebensstandard der Bevölkerungen und die Demokratie zu fördern. Bildung spielt dabei eine entscheidende Rolle, wie die OECD in ihrer aktuellen Studie hervorhebt: Gut Qualifizierte habe eine positive Einstellung zur Gesellschaft und mehren den Wohlstand.

Unter jenen, die sich ehrenamtlich engagieren, ist der Anteil mit hohem Bildungsabschluss (Studium, hochwertige Ausbildung) im OECD-Schnitt doppelt so hoch wie der Anteil ohne diese Qualifikation. Die Wahlbeteiligung bei den Hochqualifizierten ist um etwa 15 Prozentpunkte höher als bei den gering Qualifizierten. Diese positivere Einstellung zur Gesellschaft geht einher mit einer höheren persönlichen Zufriedenheit: In Deutschland gibt die Hälfte der gering Qualifizierten an, zufrieden zu sein, bei den Hochqualifizierten sind es 77 Prozent. Das dürfte auch an der extrem niedrigen Arbeitslosenquote in dieser Gruppe liegen: 3,4 Prozent. Hochqualifizierte verdienen in Deutschland im Schnitt 68 Prozent mehr als gering Qualifizierte.

Für den Staat lohnt sich die Investition in die Bildung seiner Bürger. Das gilt auch für Deutschland: Eine männliche Arbeitskraft mit hoher Qualifikation bringt dem Staat über Einkommenssteuern und Sozialabgaben im Laufe seiner Lebensarbeitszeit einen Gewinn von 169 000 Dollar (124 000 Euro); für weibliche Arbeitskräfte 85 000 Dollar (62 000 Euro). Unter der Finanzkrise haben die Hochqualifizierten fast nicht gelitten: Die schlecht Ausgebildeten zahlen die Zeche.

Der deutschen Gesellschaft diagnostiziert die OECD eine besonders große Spaltung zwischen den hoch und den gering Qualifizierten. Nur in Tschechien, der Slowakei und Slowenien sei sie vergleichbar groß. Schleicher sagte, die große Chancenungleichheit in Deutschland berge „sozialen Sprengstoff“.

Was sind die Stärken Deutschlands?

Die Basisausbildung der Deutschen ist immer noch deutlich besser als anderswo. 85 Prozent haben einen Abschluss der Sekundarstufe II, also das Abitur oder eine Berufsausbildung. Der OECD-Schnitt liegt nur bei 73 Prozent. In Deutschland finden Jugendliche einfacher einen Job. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 9,5 Prozent, während sie EU-weit 20 Prozent beträgt (USA: 17,4 Prozent). Und auch an der absoluten Spitze der Qualifikationen – bei den Promotionen – steht Deutschland gut da: 2,5 Prozent schaffen es bis zum Doktortitel, das ist Platz 5 unter den OECD-Staaten.

In jüngster Zeit nehmen immerhin deutlich mehr Abiturienten ein Studium auf. Die Studienanfängerquote liegt 2010 bei 46 Prozent  – ein großer Anstieg im Vergleich zu 1995, als nur 26 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium begannen. In den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern gewinnt Deutschland wieder mehr Studierende, zunehmend auch Frauen, wie Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium, sagte. Ein Drittel der Studierenden in Deutschland studiert in naturwissenschaftlich-technischen Fächern, fast so viele wie in Korea und Finnland. Im OECD-Schnitt sind es nur 23 Prozent.

Attraktiv bleibt Deutschland für Studierende aus Ländern außerhalb der EU. Es ist nach den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien das viertbeliebteste Land. Die OECD lobt auch, dass 23 Prozent der ausländischen Absolventen nach dem Studium in Deutschland bleiben – international kommt Deutschland damit auf Rang 5.

Wie sich die Bildungssysteme weltweit entwickeln, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Wo liegen die Schwächen Deutschlands?

Die OECD kritisiert vor allem die niedrigen Ausgaben Deutschlands für die Schulbildung. Deutschland sei eines der wenigen Länder, wo der Anteil der Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt sinkt. Lag er 1995 noch bei 5,1 Prozent, ist er 2008 auf 4,9 Prozent gefallen. Nur sechs von 36 ausgewerteten Länder sind schlechter. Das schlägt sich vor allem bei den Grundschulen nieder. Pro Grundschüler gibt Deutschland 5900 Dollar aus, 1300 Dollar weniger als der OECD-Schnitt. Die Klassen seien daher größer, Schüler hätten weniger Stunden. Deutschland führt zwar mehr Studierende zum Abschluss als früher (29 Prozent), liegt aber noch weit unter dem OECD-Schnitt (39 Prozent).

Wie entwickeln sich die Bildungssysteme weltweit?

Viele Staaten sind beim Ausbau ihrer Bildungssysteme dynamischer als Deutschland und haben frühere Rückstände wettgemacht. Vor allem die Länder Asiens haben sich an die Spitze gesetzt. Vor 50 Jahren hatten nicht einmal zehn Prozent der Südkoreaner einen Abschluss im Tertiärbereich, heute sind es zwei von drei. Korea ist auch das Land, das im Vergleich zum Jahr 2000 die Bildungsausgaben am meisten gesteigert hat und jetzt fast acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Bildung investiert. Dass ebenso die Staaten Osteuropas aufholen, zeigt das Beispiel der Slowakei. Dort vervierfachte sich die Quote der Hochschulabsolventen zwischen 1995 und 2009 auf über 60 Prozent.

Zu den Ländern mit den bestausgebildeten Menschen gehörten lange Zeit die USA. Doch der Niedergang der Vereinigten Staaten zeigt sich auch in dieser Studie. Zwar liegen die Bildungsausgaben immer noch vergleichsweise hoch. Doch der Anteil der Hochqualifizierten liegt mit 41 Prozent inzwischen nur noch knapp über dem OECD-Schnitt – und weit hinter den Werten Südkoreas und Japans, aber auch Kanadas oder Neuseelands.

Was sollte Deutschland tun?

Die niedersächsische Kultusministerin Johanna Wanka (CDU) sagte, Deutschland müsse weiter am Ziel des Bildungsgipfels aus dem Jahr 2008 festhalten und die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015 auf zehn Prozent erhöhen. Die Bundesländer seien bereits dabei, die Zahl der Kita-Plätze und die der Hochschulabsolventen auszubauen.

In den Augen der OECD sollte mehr privates Geld in Bildung fließen, etwa in Form von Studiengebühren. Anders als in Deutschland sei in vielen Ländern der Anteil der privaten Finanzierung für die Unis deutlich gestiegen, in Großbritannien etwa um mehr als zehn Prozent. Staatssekretärin Quennet-Thielen widersprach. Dass anders als in Großbritannien oder den USA in Deutschland kaum Schul- oder Studiengebühren gezahlt werden müssen, sei in ihren Augen „für den Bürger die bessere Alternative“.

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