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Politik: Deutschland im Ernst

DIE KRITIK AN ROT-GRÜN

Von Giovanni di Lorenzo

Es gibt Zeiten, da möchte man sogar eine Regierung in Schutz nehmen, die fast alles falsch macht. In solchen Zeiten geht es nicht um die Popularitätswerte eines Politikers oder die Umfrageergebnisse einer Partei (die Union hätte heute eine absolute Mehrheit im Land), sondern um das Ansehen der parlamentarischen Demokratie schlechthin. Dann also, wenn jenes politische System infrage gestellt wird, auf das wir bisher mit angemessenem Stolz schauten.

Seit einigen Tagen bestimmen Töne die öffentliche Diskussion, die daran zweifeln lassen. Da vergleicht ein hochintelligenter ehemaliger Kanzlerkandidat und SPDVorsitzender seinen Parteifreund Gerhard Schröder mit Reichskanzler Heinrich Brüning, der mit rabiaten Notverordnungen die Arbeitslosigkeit verstärkte und Millionen in die Arme von KPD und NSDAP trieb. Da ruft ein hoch angesehener Historiker die Deutschen zu Steuerboykott, Revolten und Aufständen gegen die Regierung auf, weil das Parteiensystem am Ende sei. Verstärkt werden solche Botschaften von „Bild“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, zwei der einflussreichsten Medien in Deutschland. Sie erachten die Regierung bereits seit dem Tag nach der Wahl nicht mehr für satisfaktionsfähig.

Das alles verschlimmert noch das Stimmungstief in der Bevölkerung, anstatt einer sattsam bekannten Neigung in Deutschland entgegenzuwirken: der hysterischen Selbstdemontage. Sie zerstört nämlich jede Bereitschaft zur Veränderung, auch wenn sie das Gegenteil vorgibt. Es geht nicht um die Kritik an der Regierung, es geht um die Verhältnismäßigkeit. Halten wir fest: Rot-Grün hat, erstens, das sich anbahnende Desaster in den Sozialsystemen und in der Wirtschaft vor der Wahl lange ignoriert und im Wahlkampf verschwiegen. (Die sich so empört gebärdende Union hatte bei der Wahl von 1998 ebenso drastische wie notwendige Einschnitte angekündigt – und auch deswegen verloren. Mit dem Kandidaten Edmund Stoiber wollte sie 2002 dem Wähler genauso wenig zumuten wie Rot-Grün.)

Die Regierung hat, zweitens, die jetzt unvermeidbaren Zumutungen für alle verheerend schlecht kommuniziert, so dass sie wie Schikanen von Dilettanten wirken. Das liegt, drittens, aber auch daran, dass die Bürger abgeben sollen, ohne zu wissen, ob ihre Opfer etwas grundsätzlich verbessern oder nur Löcher stopfen. Diese Unsicherheit ist berechtigt. Die Regierung verlässt sich für die Zukunft darauf, dass die Konjunktur wieder anzieht, auch wenn wenig darauf hindeutet. Aber die Sozialsysteme kranken nicht nur an einer Konjunkturdelle. Sie leiden am demografischen Knick, und sie sind durch die deutsche Einheit noch immer belastet. Ein radikaler Wechsel der Systeme brächte da die Wende, gewiss. Aber wer traut sich das in einem Land, in dem vergleichsweise kleine Einschnitte schon Weltuntergangsstimmung auslösen?

Nochmal: Jede Regierung darf und muss kritisiert werden. Jede Regierung kann abgewählt werden. Die Bürger haben, sollte die Unzufriedenheit anhalten, schon in gut zwei Monaten bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen Gelegenheit, Rot-Grün empfindlich zu treffen. Das Regieren darf aber nicht über die Medien, die Straße oder eine auf Verweigerung eingeschworene Opposition delegitimiert werden, nach dem Motto: Es kann nichts Richtiges im Falschen geben, auch wenn es um Maßnahmen geht, die die Opposition genauso treffen würde, wäre sie nur an der Macht. Es geht nicht um Sympathie für diese Regierung. Sondern um Respekt für die parlamentarische Demokratie. Die Lage ist zu ernst für solch ein Getöse. Oder gottlob noch nicht ernst genug.

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