zum Hauptinhalt
Griechen und Deutsche küssen sich vor dem Kanzleramt.

© dpa

Deutschland in Europa: Keiner hat uns mehr lieb

Der „Nie-Wieder-Schwur“ der Deutschen nach 1945 zielte vor allem auf eine besondere Befindlichkeit. Nie wieder wollten die Deutschen so sehr gehasst werden wie zur Zeit der Nazis. Jetzt lernen sie: Man kann nicht immer von allen geliebt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Im Wettbewerb darum, wer die härtesten Karikaturen und krassesten Zerrbilder über deutsche Politiker zeichnen kann, gibt es seit dem Brüsseler Griechenland-Kompromiss eine neue, innerdeutsche Konkurrenz. Sahra Wagenknecht nennt Wolfgang Schäuble einen „Kürzungs-Taliban“, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer fühlt sich an den Prager Frühling 1968 erinnert („auch damals gab es den Versuch eines kleinen Landes, in einem vorgegebenen System einen eigenen Weg zu finden“) und empfindet ein „Gefühl trostloser Ohnmacht“, ihr Parteifreund Reinhard Bütikofer sagt, der „herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht, und das ist das von Schäuble“.

Der „Nie-Wieder-Schwur“ der Deutschen nach 1945 zielte vor allem auf eine besondere Befindlichkeit. Nie wieder wollten die Deutschen so sehr gehasst werden in der Welt wie zur Zeit der Nazis. Wann immer Liebesentzug drohte, etwa aus Moskau, gab man gern und schnell nach. Frankreich und Polen als unsere wichtigsten Nachbarn, wir selbst fest verankert in Europa und der Nato, in militärischer Hinsicht am liebsten eine Art große Schweiz, ansonsten friedlich, ökologisch, multilateral, völkerrechtsbewusst, anständig: Das war und ist das Ideal. Kein Wunder, dass sich vor vier Monaten Deutsche mit Griechen vor dem Kanzleramt trafen, um sich zu umarmen und zu küssen.

„Everybody’s darling is everybody’s fool“, wie es im Englischen heißt, und schon Otto von Bismarck kannte diese Regel

Insofern machen die Deutschen gerade eine Erfahrung, die für andere starke Nationen ganz selbstverständlich ist: Man kann nicht immer von allen geliebt werden. Russen, Chinesen, Franzosen, Briten, Amerikaner und Israelis etwa wissen seit langem, wie es ist, wenn andere einem zürnen. Sie wissen auch, dass man das aushalten muss. Denn „everybody’s darling is everybody’s fool“, wie es im Englischen heißt, und schon Otto von Bismarck kannte diese Regel.

Wer nun gleich die Rückkehr der Pickelhaube wittert, das Verdrängen der Vergangenheit oder imperialistische teutonische Absichten, beweist auch, wie viel Angst vor dem Nicht-mehr-geliebt-werden in ihm steckt. Diese Angst aber ist das Gegenteil zu jenem Erwachsenwerden, das Bundespräsident Joachim Gauck einst auf der Münchner Sicherheitskonferenz angemahnt hatte. Der Weg dorthin ist offenbar noch sehr lang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false